Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



17. Februar 1999, von Michael Schöfer
Jetzt nur nicht einknicken!


Eigentlich wollte ich anläßlich der 100-Tage-Bilanz der neuen Bundesregierung etwas Positives über Rot-Grün berichten (ein bißchen Öffentlichkeitsarbeit muß halt sein) und angesichts der politischen Lähmung der Union ein wenig sticheln (Schadenfreude ist, wie Ihr sicherlich wißt, die schönste Freude). Eigentlich. Doch jetzt, nach der Hessen-Wahl, ist alles - insbesondere für uns GRÜNE - viel ernster geworden. So schnell kann das gehen (die Schadenfreude liegt jetzt bedauerlicherweise bei den anderen). Daß es nicht leicht wird, haben wir ja am 27. September 1998 geahnt. Aber daß wir so schnell in eine ernsthafte Krise geraten, hätte noch vor kurzem niemand zu prognostizieren gewagt. Selbst Kassandra hat diesmal beharrlich geschwiegen.

Die Union hat sich, freilich mit höchst fragwürdigen Methoden, auf der politischen Bühne zurückgemeldet. Ob es ihr langfristig nützt, ob es nicht vielmehr ein Pyrrhussieg war, was da in Hessen eingefahren wurde, bleibt abzuwarten. Wie auch immer, von nun an regiert die Union indirekt mit, und zwar über den Bundesrat. Rot-Grün wird sich künftig bei etlichen Gesetzentwürfen mit der Union abstimmen müssen. Notgedrungen. Das Blockadespiel vom vorigen Jahr kann, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, von neuem beginnen. Rosige Aussichten sind das wohl kaum.

Doch es gilt, nicht vorschnell zu resignieren. In der Politik wechseln sich Sieg und Niederlage kontinuierlich ab und liegen zudem oft nahe beieinander - in Hessen ganze 0,2 %. Wäre die FDP, anstatt 5,1 % einzufahren, mit 4,9 % knapp gescheitert, würde man unsererseits zwar einen gehörigen Dämpfer, aber keinen Regierungsverlust zu beklagen haben. Wäre und hätte sind in der Realität jedoch völlig irrelevant, wir müssen das Ergebnis innerlich so akzeptieren, wie es nun mal ist. Das nächste Mal machen wir es bestimmt besser. Im Juni wählt Bremen, im September Thüringen und im Oktober Berlin - alles Landesregierungen mit CDU-Beteiligung. Ende des Jahres kann es mit der neuen CDU-Herrlichkeit schon wieder vorbei sein. Und wenn die Bundesregierung von nun an nicht ganz so dilettantisch agiert, wie es bei den 630-Mark-Jobs unbestreitbar der Fall war, sollte uns das auch gelingen.

Wer jetzt von uns GRÜNEN erwartet, wir würden uns opportunistisch von unseren Zielen verabschieden, ist gewiß auf dem Holzweg. Gerade beim äußerst emotional besetzten Thema "Ausländerpolitik" stehen wir nach wie vor hinter dem Vorhaben der Bundesregierung, die doppelte Staatsangehörigkeit einzuführen. Über Kompromisse kann man durchaus reden, angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ist das sogar unumgänglich. Aber wir sind weiterhin für die volle Integration der hier lebenden ausländischen Mitbürger. Die rechtliche Gleichstellung ist hierfür nach unserer Meinung weiterhin unabdingbare Voraussetzung, den Doppel-Paß nehmen wir dabei als notwendiges Instrument in Kauf. Im Ergebnis kommt es darauf an, langjährig bei uns lebende oder hier geborene Ausländer zu Inländern zu machen.