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08. März 1998, von Michael Schöfer
Lieber Schröder als Kohl


Ende September steht "Automann" Gerhard Schröder vor einem ganz besonderen Elchtest, er soll dann nämlich den Dicken aus dem Kanzleramt kegeln. Nach den äußerst erfolgreichen Landtagswahlen in Niedersachsen scheinen die Sozialdemokraten mit dem smarten "Flachland-Clinton" in der Tat bestens dazu präpariert zu sein, die in technischer Hinsicht völlig veraltete Luxuskarosse namens CDU endlich von der Position des Marktführers zu verdrängen. Unzeitgemäße Fahrzeugkonzepte müssen halt irgendwann aussterben, das ist ihr unabänderliches Schicksal. Dinos herrschen bekanntlich nicht bis in alle Ewigkeit. Das bundesdeutsche Yucatan (mutmaßlicher Ort des Meteoriteneinschlags vor 65 Mio. Jahren) befindet sich aus der Sicht der Union bedrohlich nahe. Der Krater von Hannover ist unerwartet gigantisch ausgefallen.

Schröder hat demgegenüber alles, was ein zeitgemäßes Politgefährt in sich vereinen muß: Einerseits besitzt er den schier unbezähmbaren Machtwillen, mit dem man Hindernisse notfalls brutal von der Fahrbahn rammt, anstatt sie elegant zu umfahren (Rudolf Scharping kann gewiß ein garstig Lied davon singen). Andererseits beherrscht er aber auch die geschickten Ausweich- und Wendemanöver, ohne die man heutzutage im schwierigen Medienterrain nicht mehr zurechtkommt. Im übrigen eilt ihm der positive Ruf eines mit wirtschaftspolitischer Kompetenz ausgestatteten "Machers" voraus. Um im PS-Jargon zu bleiben, der niedersächsische Ministerpräsident ist ein Turbo-Zwölfzylinder mit permanentem Allradantrieb. Besser gesagt: Die eierlegende Wollmilchsau. So vermittelt es zumindest sein Image.

Doch noch ist das Rennen nicht gelaufen, denn die Niedersachsenwahl war erst das Zeittraining. Und mit der "Pole Position" allein ist es erfahrungsgemäß nicht getan. Wie unser "Schumi" aus erster Hand berichten kann, landen sogar mehrfach crasherprobte Thronanwärter allzu oft selbst im Kiesbett und scheiden auf diese Weise höchst blamabel aus. Außerdem kommt man auch mit einem Sieg im Auftaktrennen noch nicht zur begehrten Meisterschaft. Wer Weltmeister werden will, muß über die gesamte Saison hinweg konstant gute Leistungen zeigen. Langfristig entscheidend hierfür ist das Gesamtkonzept, nicht bloß der Fahrer. Doch gerade hier können sich Konstruktionsfehler beim Projekt Rot-Grün negativ bemerkbar machen.

Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel hat wohl nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, daß Schröder zwar mit aller Gewalt die Macht erringen möchte, jedoch überhaupt nicht weiß, wozu er sie letztlich gebrauchen soll. Und tatsächlich waren die Aussagen des SPD-Kanzlerkandidaten in der Vergangenheit mit einem extrem kurzen Verfallsdatum ausgestattet, das oft nicht über den Termin des nächsten Interviews hinausreichte. Weiß er wirklich, wohin die Reise gehen soll, oder konzentriert er sich immer nur auf die unmittelbar vor ihm liegende Kurve? Eine windschnittige Karosserie mit gelungenem Werbeaufdruck garantiert natürlich noch keinen perfekten Rennverlauf, weil Fahrwerkschwächen durch Unebenheiten in der Piste gnadenlos aufgedeckt werden. Und die Bonner Schlaglöcher sind ebenso berüchtigt wie zahlreich.

Das Verbreiten von Worthülsen wie "Innovation" oder "Modernität" (vgl. den Wahlprogrammentwurf der SPD) ist für sich allein genommen beileibe noch kein tragfähiges Regierungskonzept, mit dem man die nächste Legislaturperiode erfolgreich bewältigen kann. Ein bißchen mehr Substanz sollte die neue Politik schon haben. Wer vorgibt, die Massenarbeitslosigkeit mit betont industriefreundlicher Wachstumspolitik bekämpfen zu können, aber dem Einstieg in die ökologische Steuerreform weiterhin auffallend reserviert gegenübersteht, wandelt wohl eher auf den ausgetretenen Pfaden der Dinos, anstatt sich als neues Evolutionsmodell zu empfehlen. Wir brauchen in Bonn nicht nur den Wechsel (von Mercedes zu BMW), sondern vielmehr den Wandel (von der S-Klasse zum Drei-Liter-Auto). Und letzteren können m.E. nur die Bündnisgrünen sicherstellen. Nach dem Motto "Es muß sich etwas bewegen, aber es darf nichts passieren" kann und wird Rot-Grün nicht funktionieren.

Gleichwohl bewerte ich die Entscheidung für Gerhard Schröder als die - unter den gegebenen Umständen - optimale Wahl. Dem Verlierer sämtlicher Prognosen, aber Gewinner aller Wahlen (CDU-Generalsekretär Hintze über Kohl) kann vermutlich nur ein Typ vom Schlage Schröder Paroli bieten. Ob Lafontaine als Kanzlerkandidat attraktiv genug wäre, um vom bürgerlichen Lager massenhaft Stimmen herüberziehen zu können, darf zu Recht bezweifelt werden. Mit der - aus meiner Sicht - programmatisch zweifellos besseren Alternative, würde Rot-Grün vielleicht abermals als zweiter Sieger über die Ziellinie laufen. Wichtig ist zunächst nur eines: Kohl muß weg. Alles weitere wird man sehen. Und in einer Regierung Schröder wird das grüne Profil bestimmt nicht leiden.