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03. Dezember 2000, von Michael Schöfer
Aktive Sterbehilfe: Ja oder nein?


In den Niederlanden wird jetzt endlich die seit einigen Jahren unterderhand geduldete Praxis der aktiven Sterbehilfe durch ein entsprechendes Gesetz legalisiert. Künftig darf man dort todkranken Menschen unter bestimmten Voraussetzungen beim Sterben helfen, ohne dabei - im Gegensatz zu Deutschland - irgendwelche Sanktionen befürchten zu müssen. Der Tod von unheilbar kranken, schwer leidenden Menschen wird also auf deren ausdrücklichen Wunsch hin beschleunigt respektive eingeleitet. Dieser Gesetzentwurf stieß hierzulande auf heftige Kritik, dessen Übernahme in deutsches Recht wurde kategorisch abgelehnt. Warum eigentlich?

Aktive Sterbehilfe ist zwar in Deutschland durch das verbrecherische Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten in der Tat mit einer enormen Hypothek belastet, gleichwohl werden hier m. E. Äpfel mit Birnen verglichen. Im sogenannten III. Reich wurden die Opfer ja nicht mit deren Einwilligung, sondern ausnahmslos ohne eine solche getötet. Mit anderen Worten, sie wurden ermordet. Bei der aktiven Sterbehilfe ist dies jedoch genau umgekehrt. Der Wunsch, sterben zu wollen, geht hier nämlich ausschließlich vom Betroffenen selbst aus, er ist daher mitnichten fremdbestimmt. Ein wesentlicher Unterschied, der bei der Beurteilung des Ganzen unbedingt zu berücksichtigen ist. Aktive Sterbehilfe ist folglich in meinen Augen nichts anderes als Hilfe zum Selbstmord.

Letztlich ist das Ganze eine philosophische Frage, die allerdings durchaus praktische Auswirkungen zeitigt. Wem gehöre ich? Mir selbst oder der Gesellschaft? Hat der Staat wirklich das Recht, über die Dauer meiner eigenen Existenz zu bestimmen? Die Todesstrafe, d.h. die aktive Verkürzung des individuellen Lebens, ist bei uns zu Recht geächtet. Dem Staat wird, unter welchen Umständen auch immer, die Verfügungsgewalt über das individuelle Leben kurzerhand abgesprochen. In dieser Beziehung, so heißt es, sei die Würde des Menschen der einzig gültige Maßstab.

Kann daraus aber gleichzeitig die zwangsweise Verlängerung des Lebens abgeleitet werden? Ist das Individuum also buchstäblich dazu verpflichtet, unter allen denkbaren (vielleicht sogar absolut unerträglichen) Umständen weiterzuexistieren, bloß weil es die Gesellschaft aus vermeintlich ethischen Motiven heraus befiehlt? Ich meine, nein. Die Verfügungsgewalt über meine eigene Existenz darf am Ende nur in meinen Händen liegen. Nur ich allein habe das Recht, darüber zu entscheiden. Niemand sonst ist berechtigt, mir diese Entscheidung abzunehmen, mich diesbezüglich quasi zu entmündigen. Das beinhaltet ausdrücklich, meinem Leben zu einem von mir bestimmten Zeitpunkt ein Ende zu setzten. Zur Würde des Menschen gehört auch das Recht auf einen würdevollen Tod.

Ist der Staat für die Menschen da oder umgekehrt? Wenn man ersteres bejaht, muß man dann nicht zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen, daß der Staat genaugenommen sogar zur aktiven Sterbehilfe verpflichtet ist? Die gegenwärtige Interpretation der Fürsorge der Gesellschaft für das Individuum unterliegt jedenfalls einer eigentümlichen Schizophrenie. Einerseits soll die Gesellschaft dem Einzelnen in der Not mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Seite stehen, zumindest sofern er dies wünscht. Dieser Wunsch wird andererseits in der letzten Lebensphase vollständig negiert, beim Sterben darf es merkwürdigerweise keinerlei Hilfe geben. Hier muß der Einzelne seine Not bis zur bitteren Neige auskosten. Die Inkonsequenz dieser Haltung ist offensichtlich.

Die holländische Entscheidung zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ist für das zukünftige Verhältnis zwischen Mensch und Gesellschaft außerordentlich bedeutsam, im Grunde sogar richtungsweisend. Deshalb sollte man sie nicht rundheraus ablehnen, ohne zuvor gründlich darüber zu diskutieren.

Nachtrag (21.02.2008):
Luxemburg legalisiert die aktive Sterbehilfe. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde in der Abgeordnetenkammer verabschiedet. Demnach darf ein Arzt im Großherzogtum künftig einem unheilbar Kranken, der seinen Wunsch zum Sterben ausdrücklich geäußert hat, helfen. Dies soll sowohl durch einen aktiven Beitrag des Arztes (Tötung auf Verlangen) als auch in einer Assistenz (ärztlich assistierter Suizid) möglich sein. Auch unheilbar kranke 16- bis 18-Jährige können mit Zustimmung der Eltern ihrem Leben ein Ende setzen. [1]

[1] Frankfurter Rundschau vom 21.02.2008