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11. Februar 2001, von Michael Schöfer
Ein Quantensprung beim Zuwachs an Gerechtigkeit


Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, die Millionenstrafe für die CDU wegen der Abgabe eines falschen Rechenschaftsberichts aufzuheben, kann ich in meiner Eigenschaft als Gewerkschafter und Personalrat nur begrüßen. Auch die Entscheidung der Bonner Staatsanwaltschaft, das Ermittlungsverfahren gegen Altkanzler Helmut Kohl einzustellen, wenn er eine Geldbuße zahlt, ist für meine tägliche Arbeit äußerst hilfreich. Fristlose Kündigungen unehrlicher Mitarbeiter werden jetzt nämlich nahezu unmöglich.

Die jüngste Anpassung der deutschen Justiz an die gewandelte Rechtsauffassung der übrigen Gesellschaft geschah diesmal, ich sage das mit dem Ausdruck aufrichtiger Bewunderung, in geradezu atemberaubendem Tempo. Bedauerlicherweise bekommt die Justiz hierdurch jede Menge Arbeit aufgehalst, aber das ist nun mal nicht zu vermeiden, schließlich geht es jetzt darum, dem hehren Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz mit allem Nachdruck Geltung zu verschaffen.

So muß etwa als Folge dieser Entscheidungen auch das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 7.10.1997 aufgehoben werden, das die fristlose Kündigung eines Lagerarbeiters wegen des Diebstahls von drei CDs gebilligt hat. Der Diebstahl von Kleinigkeiten sei eine erhebliche Verletzung des Arbeitsvertrages, so das Gericht damals (AZ: 4 Sa 463/97). Eine, wie wir uns jetzt in anderer Sache haben belehren lassen, völlig überzogene und damit irrige Rechtsauffassung. Was sind schon drei CDs im Vergleich zu den straflos verborgenen Schwarzgeldkassen der Union? Peanuts.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Nordrhein-Westfalen, die fristlose Kündigung eines im Dienst untadeligen Finanzbeamten zu bestätigen, der im außerdienstlichen Bereich als ehrenamtlicher Geschäftsführer einer Sterbekasse Gelder veruntreut hat, ist jetzt ebenfalls nicht mehr länger haltbar. Von einem Bediensteten des Finanzamtes sei schon allein von Berufs wegen eine Grundehrlichkeit in Geldangelegenheiten zu erwarten, und dies auch außerhalb der Behörde. Das notwendige Vertrauen des Dienstherrn sei durch die Veruntreuung restlos zerstört, meinte das Gericht seinerzeit (Az.: 3 Sa 467/93). Nachdem inzwischen die Maßstäbe in bezug auf die Grundehrlichkeit in Geldangelegenheiten insbesondere für Politiker (Bundeskanzler, Ministerpräsidenten, Minister, Staatssekretäre etc. - alles Dienstherren) erheblich gelockert wurden, sollte man auch dem kleinen Finanzbeamten Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Wenn in Kürze alle einschlägigen Fehlurteile revidiert sind, verliert der Satz "Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen" endlich seine Berechtigung. Ich bin wirklich froh, diesen Quantensprung beim Zuwachs an Gerechtigkeit noch erleben zu dürfen.