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01. Mai 2013, von Michael Schöfer
Darüber spottet inzwischen die ganze Welt


Die haarsträubenden Fehler, die sich das Oberlandesgericht München schon im Vorfeld des NSU-Prozesses leistet, reihen sich leider nahtlos in die zahlreichen Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Terrorzelle ein. Der Dilettantismus der Ermittlungsbehörden, den die diversen Untersuchungsausschüsse zutage förderten, ist erschreckend. Teilweise fragt man sich in Anlehnung an Dürrenmatts "Die Physiker", ob die Irren nicht vielmehr in der Anstaltsleitung zu finden sind. Wenn etwa der ehemalige Präsident des Thüringischen Verfassungsschutzes laut Aussage seiner Mitarbeiter im Sommer barfuß durch die Behörde gelaufen ist, dort sogar auf den Gängen mit dem Fahrrad herumfuhr und zu allem Überfluss auch noch in Besprechungen seine schmutzigen Füße auf den Tisch gelegt haben soll, spottet das jeder Beschreibung. [1] Wäre dergleichen in griechischen oder italienischen Behörden passiert, würde man das Ganze achselzuckend mit einem "Na, klar!" quittieren. Man bekäme lediglich die einschlägigen Vorurteile bestätigt. Doch hier in Deutschland, bei unserem normalerweise zur Pedanterie neigenden Staatsapparat? Unfassbar.

Die bayerische Justiz ist recht eigen, das merkt man nicht bloß im Fall Gustl Mollath. Bekanntlich hat sich das OLG München zunächst geweigert, Änderungen bei der Sitzplatzvergabe zuzulassen. Angeblich mit dem Ziel, den NSU-Prozess revisionssicher über die Bühne zu bringen. Dass dabei die türkischen Medien unter den Tisch fielen, war bedeutungslos. Kritik am Akkreditierungsverfahren nahm das Gericht stoisch hin - bis es nach wochenlanger Diskussion kleinlaut eingesehen musste, beim sogenannten "Windhundverfahren" Fehler gemacht zu haben. Manche Journalisten bekamen vorab Informationen über das Akkreditierungsverfahren mitgeteilt, obendrein gab es Probleme beim E-Mail-Versand an die Presse, wodurch einige Redaktionen später als andere informiert wurden. [2] Der Öffentlichkeit gegenüber erst hartnäckig auf einem vermeintlich revisionssicheren Ablauf bestehen, obgleich man insgeheim weiß, dass man die möglichen Revisionsgründe selbst auf dem Silbertablett serviert hat - das ist dreist und kaum zu glauben.

Doch damit nicht genug: Nachdem das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde der türkischen Zeitung "Sabah" stattgab und dem OLG München in seinem Beschluss vom 12.04.2013 auferlegte, bei der Sitzplatzvergabe Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern angemessen zu berücksichtigen [3], drückten die Münchner Richter notgedrungen den Resetknopf. Das Windhundverfahren wurde annulliert und durch das Losverfahren ersetzt.

Besser wurde das Ganze dadurch bedauerlicherweise nicht, bei der Auslosung am 29.04.2013 zogen nämlich etliche überregionale Zeitungen eine Niete. So sind beim Prozess gegen den NSU weder die "Süddeutsche Zeitung" (Auflage 420.377) noch die "Frankfurter Allgemeine" (Auflage 338.478) vertreten, stattdessen befinden sich die "Pforzheimer Zeitung" (Auflage 37.341) und die "Offenbach-Post" (Auflage 39.126) im Sitzungssaal. [4] Überraschenderweise hat auch die Frauenzeitschrift "Brigitte" einen Sitzplatz ergattert, die aber bislang weder durch eine wahrnehmbare Berichterstattung über den Rechtsradikalismus aufgefallen ist noch auch nur ansatzweise Renommee in der Gerichtsberichterstattung besitzt. Man fragt sich unwillkürlich, worüber die "Brigitte" berichten will. Etwa darüber, ob die Hauptangeklagte Beate Zschäpe die Fingernägellackierung und die Accessoires passend zum Farbton ihrer Kleidung ausgewählt hat? Die neue Frühjahrskollektion wird Zschäpe in Ermangelung von Einkaufsmöglichkeiten wohl kaum tragen können. Und da die Vertreterin der Frauenzeitschrift der Hauptangeklagten vermutlich nie auf Riechweite herankommt, wird uns die "Brigitte" zwangsläufig auch über deren Parfüm im Unklaren lassen müssen. Nun, wir werden es verschmerzen.

Bei 324 Losen und 50 Sitzplätzen eine Niete zu ziehen, kann selbst der Nr. 1 der überregionalen Tagespresse passieren. So sind eben die Spielregeln. Aber dafür, dass dem Gericht auch beim Losverfahren Fehler unterlaufen sind, findet man keine Worte mehr. Der Platz eines Journalisten, der seine Akkreditierung zurückzog, allerdings dennoch im Lostopf verblieb und gezogen wurde, muss nun nachverlost werden. [5] Wie will das Oberlandesgericht München überhaupt den Mammutprozess gegen Zschäpe & Co. bewältigen, wenn es offenbar bereits mit der Akkreditierung der Medien überfordert ist? Man greift sich förmlich an den Kopf. Aber diese zum Himmel schreienden Fehler passen durchaus ins Bild des eklatanten Staatsversagens, das die Behörden in Bezug auf den NSU abgeliefert haben. Darüber spottet inzwischen die ganze Welt. Und nicht einmal zu Unrecht.

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[1] Süddeutsche vom 10.07.2012
[2] Spiegel-Online vom 10.04.2013
[3] Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 990/13
[4] Oberlandesgericht München, Pressemitteilung vom 29.04.2013, PDF-Datei mit 139 kb
[5] tagesschau.de vom 30.04.2013