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09. Januar 2005, von Michael Schöfer
Kursschwankungen sind völlig normal

Erinnern Sie sich noch an den 26. Oktober 2000? Nein? Nun, dann haben Sie vermutlich eine dramatische Wirtschaftskrise schlicht verschlafen. An diesem Tag sank nämlich der Euro mit einem Kurs von 0,8225 US-Dollar auf sein bisheriges Allzeittief gegenüber dem Greenback, was gemessen am Kurs des ersten Handelstages (4. Januar 1999 / 1,1789 US-Dollar) einen Kursverlust von 30 Prozent bedeutete. [1] Wie groß war doch damals, in der Phase der Euro-Schwäche, das Gejammer. Michael Mussa, Chefvolkswirt des IWF (Internationaler Währungsfonds), sagte seinerzeit, daß "die Schwäche der Gemeinschaftswährung von einer erst lediglich peinlichen Geschichte zu einem Problem geworden sei". [2] Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap vom Oktober 2000 stellten die Bundesbürger fest, "die Schwäche des Euro habe sich auf die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage deutlich negativ ausgewirkt". [3] Viele Populisten drehten ihr Fähnchen nach dem Wind und wetterten gegen die Verantwortlichen beim Bund und in der EU.

Der damalige CDU-Generalsekretär, Ruprecht Polenz, warf beispielsweise Bundeskanzler Gerhard Schröder vor, "für die jüngsten Kurseinbußen mitverantwortlich zu sein". [4] Auch Friedrich Merz, zu dieser Zeit Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sah die Ursache für die Währungsschwäche unter anderem bei der Bundesregierung. [5] Der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) nannte den Kursverfall des Euros "ein Zeugnis der Reformunfähigkeit der europäischen Mitgliedstaaten" (woran die Blockadehaltung der Union im Bundesrat natürlich völlig schuldlos ist). "Wer eine solche Politik betreibt, der darf sich nicht wundern, wenn die Talfahrt des Euro anhält", wetterte schließlich CSU-Landesgruppenchef Michael Glos. [6] Und CSU-Chef Edmund Stoiber kündigte an, "die Schwäche des Euro" im beginnenden Wahlkampf zur Bundestagswahl 2002 zum Thema zu machen. [7]

Alles Schnee von gestern, inzwischen hat der Euro nämlich drastisch zugelegt, am 31. Dezember 2004 erreichte er mit 1,3636 US-Dollar sein Allzeithoch. Das bedeutet, die Gemeinschaftswährung ist seit ihrem Einführungskurs um 15,7 Prozent stärker geworden und hat gegenüber ihrem Allzeittief im Oktober 2000 sogar 65,8 Prozent gutgemacht. Nimmt man die Äußerungen von damals zum Maßstab, sollte sich deren jetzige Stärke auf die Einschätzung der Bevölkerung über die wirtschaftliche Lage eigentlich deutlich positiver auswirken. Dementsprechend müßten heute etwa Friedrich Merz oder der neue CDU-Generalsekretär, Volker Kauder, die Bundesregierung über den grünen Klee loben und Edmund Stoiber die Hoffnung der Union auf einen Wahlsieg im Jahr 2006 vorzeitig begraben. Doch nichts dergleichen geschieht. Michael Glos kritisiert - wie gehabt - die Politik von Gerhard Schröder, obgleich der Euro nun bärenstark ist. Und auf dem Arbeitsmarkt läuft es eher noch schlechter als vor vier Jahren. Plötzlich ist die Stärke des Euro zum Problem geworden, Bundeskanzler Schröder bezeichnete sie kürzlich sogar als besorgniserregend. [8] Das Pendel ist zum anderen Extrem ausgeschlagen, der Euro kann es dem Publikum offenbar zu keiner Zeit recht machen.

Leider neigt die Politik häufig zu Dramatisierungen und erzeugt auf diese Weise künstlich eine völlig haltlose Panikstimmung, während ein nüchternes Abwägen wohl die wesentlich bessere Methode wäre. Bei der letztgenannten Herangehensweise wäre auffallen, daß Kursschwankungen völlig normal sind. Es hat sie auch schon früher gegeben. So hat Altbundeskanzler Helmut Schmidt im vermeintlichen Euro-Krisenjahr 2000 völlig zu Recht auf die Ausschläge der allseits geschätzten Deutschen Mark hingewiesen: "In den sechziger Jahren kostete der Dollar 4,00 DM, das war damals der feste Wechselkurs. Ab 1969 fiel der Dollar zehn Jahre lang, aber dann stieg er wieder fünf Jahre lang, im Jahr 1985 bis auf 3,45 DM. Anschließend fiel der Dollar wieder zehn Jahre lang, der Tiefstpunkt im Jahre 1995 lag bei 1,38 DM." Sein Fazit lautete deshalb: "Freunde, hört auf mit dem Gejammer!" Er empfahl vielmehr, man solle das Auf und Ab der Kurve studieren, ehe man sich das nächste Mal als Währungssachverständiger aufspielt. [9] Leider gewinnt man mit sachlicher Kritik selten Wahlen.

Bei nüchterner Analyse hätte man überdies festgestellt, daß Hochs und Tiefs einer Währung je nach den gerade vorherrschenden ökonomischen Verhältnissen unterschiedliche (positive oder negative) Auswirkungen haben können. So hilft ein niedriger Eurokurs zweifellos der Exportwirtschaft, verteuert hingegen unter Umständen die Importe, was wiederum die Inflation anheizen kann. Ein hoher Eurokurs dämpft, vor allem in Zeiten gewaltiger Ölpreisrechnungen (welche in Dollar ausgestellt sind), die Teuerungsrate, während die Exportwirtschaft eventuell Einbußen hinnehmen muß. Ohne den starken Anstieg des Euro hätten wir folglich den aktuell immens gestiegenen Rohölpreis wesentlich härter zu spüren bekommen, weil die Verteuerung der Energiebasis bei einem niedrigeren Kursniveau ungebremst auf die Inflationsrate durchgeschlagen wäre. Wir würden uns in so einem Fall sicherlich heftig über die ansteigende Inflationsrate beklagen.

Der deutschen Exportwirtschaft wiederum hat das hohe, aber nicht übertriebene Kursniveau des Euro (1995 lag die Mark höher) einstweilen erstaunlich wenig geschadet - ein Hinweis darauf, daß es diesbezüglich auch auf andere Faktoren ankommt, etwa auf die im Vergleich zu den Mitbewerbern gesunkenen Lohnstückkosten. Insofern kam der Kursanstieg des Euro also zur rechten Zeit. Wichtig ist daher der ökonomische Kontext, in dem sich der Kurs einer Währung bewegt. Isoliert betrachtet sagt uns der Wert einer Währung im Vergleich zu einer anderen nämlich nicht besonders viel. An und für sich eine ökonomische Binsenweisheit.

Die nachfolgenden Schaubilder geben einen Eindruck, wie stark die Mark bzw. der Euro gegenüber dem Dollar geschwankt sind. Und wie wir auf den ersten Blick feststellen können, waren die Kursausschläge der Mark früher wesentlich stärker als heutzutage die des Euro. Panikstimmung ist deshalb weder in der einen noch in der anderen Richtung angebracht - zumindest solange das Hin und Her nicht allzu heftig ausfällt.






Wenngleich also Kursschwankungen im freien Waren- und Kapitalverkehr etwas völlig Normales sind, sollte man dennoch die durchaus begründete Befürchtung, der Dollar könnte unaufhaltsam auf ein wesentlich niedrigeres Niveau abbröckeln oder gar kollabieren, nicht ganz außer acht lassen. Solche Mutmaßungen sind hauptsächlich auf die negativen volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen der USA zurückzuführen. Vor allem die riesigen Leistungsbilanzdefizite der Vereinigten Staaten geben Anlaß zur Sorge. Bundesfinanzminister Hans Eichel beklagte denn auch beim G-20-Treffen Mitte November 2004 "die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte" und äußerte die Befürchtung, diese könnten sich "in eruptiven Veränderungen" niederschlagen. "Ein Vertrauensverlust in die Solidität der US-Wirtschaft könnte zu einem Dollar-Crash mit unabsehbaren Folgen für die globale Ökonomie führen." [10]

In der Leistungsbilanz werden die Ex- und Importe von Waren und Dienstleistungen, staatliche Finanztransfers sowie die Zahlungen aus Erwerbs- und Vermögenseinkommen erfaßt. Das letzte Jahr, in dem die USA einen Handelsbilanzüberschuß erwirtschafteten (mehr Exporte als Importe), war das Jahr 1975. [11] Seitdem ist das Loch in der Handelsbilanz chronisch negativ, im Jahr 2003 betrug es 549 Mrd. US-Dollar. [12] Mit anderen Worten: Die Amerikaner leben seit langem über ihre Verhältnisse. Teilweise wurde dieser Fehlbetrag durch den Überschuß bei den Erwerbs- und Vermögenseinkommen aufgewogen. Doch "1997 überstiegen erstmals seit Jahrzehnten die Erträge, die Ausländer für ihre Anlagen in den USA erzielten (wie Dividenden und Zinsen), diejenigen, die US-Inländer für Anlagen im Ausland erzielten; seither ist auch diese Teilbilanz defizitär. Lediglich in der Dienstleistungsbilanz blieb ein Überschuss, mit allerdings in den letzten Jahren ebenfalls leicht rückläufiger Tendenz." [13]

Deshalb ist auch das Leistungsbilanzdefizit der USA zuletzt stark gestiegen und hat 2003 das Rekordniveau von 530,7 Mrd. Dollar erreicht, für 2004 werden sogar 607 Mrd. Dollar prognostiziert. Mittlerweile (Ende 2004) belaufen sich die kumulierten Auslandschulden der Vereinigten Staaten netto auf rund 3.300 Mrd. Dollar - mehr als alle Entwicklungsländer zusammen. [14] Ein schwacher Dollar kommt den USA entgegen, denn damit können sie das Defizit in der Handelsbilanz verringern. Daher haben sie momentan, im Gegensatz zu den Europäern, überhaupt kein Verlangen nach einer besseren Bewertung des Dollar. Alles andere sind bloß Lippenbekenntnisse, etwa wenn George W. Bush treuherzig bekundet, "sein Land habe ein Interesse an einem starken Dollar". [15]

Es ist außerdem recht merkwürdig, von den Vereinigten Staaten zu verlangen, sie sollten trotz hoher Binnenverschuldung weiterhin als Staubsauger für den europäischen Warenausstoß dienen, also zugunsten der an Handelsbilanzüberschüssen interessierten Europäer noch tiefer in den Schuldensumpf hineinreiten. Vor allem angesichts der Tatsache, daß die Europäer selbst keinerlei Anstrengungen unternehmen, bei ihnen zuhause die Binnenwirtschaft anzukurbeln. Wir erwarten mithin von den USA das, was wir selbst nicht tun wollen. Denn die Wirtschaftspolitik in Europa setzt allein auf Erfolge beim Export, die vorherrschende neoliberale Ideologie läßt die Belebung des Binnenmarkts durch eine Stärkung der Massenkaufkraft bekanntlich gar nicht zu. Wer eine reine Kostensenkungspolitik betreibt und die Massenkaufkraft damit unentwegt schwächt, braucht sich über die lahmende Binnenkonjunktur nicht zu wundern. Doch sollen die Amerikaner die bequem in der Hängematte ihrer Exporterfolge liegenden Europäer einfach gewähren lassen? Ich glaube, dieser Wunsch ist unrealistisch.

Fazit: Die bisherigen Kursschwankungen des Euro sind für sich genommen kein Grund zur Beunruhigung, freilich wirkt die Überbetonung des Exports und die damit einhergehende Vernachlässigung des hiesigen Binnenmarkts kontraproduktiv. Das Vorhaben, sich dauerhaft auf Kosten der Vereinigten Staaten sanieren zu wollen, wird auf lange Sicht kläglich scheitern. Unser Interesse an einem ausgewogenen Devisenkurs setzt aber eine andere Wirtschaftspolitik voraus. Aus diesem Grund muß dem drohenden Verfall des Dollar mit einer Belebung der europäischen Binnenkonjunktur vorgebeugt werden. Möglich ist das jedoch nur durch die Stärkung der Massenkaufkraft. Leider weisen in Deutschland sämtliche Politikkonzepte, ob nun von Rot-Grün oder von Schwarz-Gelb, in die entgegengesetzte Richtung. Gegen den neoliberalen Einheitsbrei scheint momentan kein Kraut gewachsen zu sein. Schröder oder Merkel - das ist meines Erachtens keine Wahl zwischen echten Alternativen, sondern lediglich die Wahl zwischen Pest und Cholera. Und genaugenommen will man ja keines von beiden.

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[1] Wikipedia
[2] Frankfurter Rundschau vom 20.09.2000
[3] Frankfurter Rundschau vom 07.10.2000
[4] Frankfurter Rundschau vom 08.09.2000
[5] Frankfurter Rundschau vom 02.05.2000
[6] Frankfurter Rundschau vom 05.05.2000
[7] Frankfurter Rundschau vom 31.05.2001
[8] Frankfurter Rundschau vom 22.11.2004
[9] Die Zeit, 37/2000
[10] Frankfurter Rundschau vom 22.11.2004
[11] Frankfurter Rundschau vom 22.08.2000
[12] Fischer Weltalmanach 2005, Seite 453
[13] Christiane Brück vom Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA), HWWA_KONJUNKTURFORUM, Wirtschaftsdienst 2002
[14] Frankfurter Rundschau vom 10.11.2004
[15] Frankfurter Rundschau vom 22.11.2004