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07. November 2006, von Michael Schöfer
Der Mensch ist träge


Die Welt steuert auf eine Energiekrise zu, schreibt heute das Handelsblatt und zitiert Claude Mandil, den geschäftsführenden Direktor der Internationalen Energie-Agentur (IEA): "Wenn wir auf unserem energiepolitischen Kurs weiterfahren, werden wir in den kommenden Jahrzehnten von Krise zu Krise schlittern." Sofern die aktuellen Trends anhalten, liegt vor uns "eine schmutzige, unsichere und teure Energie-Zukunft", warnt Mandil. Die weltweite Nachfrage nach Öl wird bis 2030 auf 116 Mill. Barrel pro Tag steigen. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es 84 Mill. Barrel. Der jährliche Kohlendioxid-Ausstoß erhöht sich demzufolge um 55 Prozent auf 40 Gigatonnen. Erst letzte Woche hat der frühere Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, vor den ökonomischen Folgen des Klimawandels gewarnt. In einem 700-seitigen Bericht für die britische Regierung schrieb er: "Die wissenschaftlichen Beweise sind jetzt überwältigend: der Klimawandel ist eine ernsthafte globale Bedrohung und verlangt eine dringende globale Antwort." [1] Falls wir nichts tun, könnte das globale Bruttosozialprodukt um bis zu 20 Prozent sinken und eine Weltwirtschaftskrise auslösen, die schwerer wäre, als jene Anfang der 30er Jahre (die "Große Depression", die dem Börsencrash von 1929 folgte).

[Quelle: Wikipedia, CC BY-SA 3.0-Lizenz, Urheber: VGB PowerTech, Germany]

Im Grunde alles keine neue Erkenntnis. Schon seit langem wird vor den katastrophalen Folgen unseres Verhaltens gewarnt. So hat etwa Dennis L. Meadows im Jahr 1972 in seinem berühmten Bericht an den "Club of Rome" (Die Grenzen des Wachstums) ab dem Jahr 2030 eine jähe Umkehr des globalen Wohlstands vorausgesagt. 1992 verfeinerte er seine Studie und kam zu dem Ergebnis, daß der materielle Lebensstandard bis zum Jahr 2100 sogar unter das Niveau von 1900 fallen könnte. Ökologen wurden seinerzeit noch belächelt, die verheerenden Prognosen als Schwarzmalerei abgetan. Später hat man allerdings einige ihrer Anregungen aufgegriffen. Notgedrungen, verursacht durch den Erfolg von Umweltparteien.

Aber noch immer sperrt sich das Establishment gegen eine grundlegende Umkehr. Nach wie vor regt man sich gerne über die angebliche "Verspargelung der Landschaft" durch Windkraftanlagen auf, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist ebensowenig Realität wie der konsequente Abschied von fossilen Energieträgern. Manche leugnen gar den anthropogenen Treibhauseffekt vollkommen. Politik und Wirtschaft blocken, wo sie nur können, fordern nach wie vor ein stetes Wachstum der Volkswirtschaft. Gegen jede rationale Erkenntnis, nach der es in einer begrenzten Welt kein unbegrenztes Wachstum geben kann. Der Pfad zu einer nachhaltigen Welt ist also noch immer nicht beschritten. Zugegeben, ein bißchen hat sich getan, aber bei weitem nicht genug. Deshalb die neuen, eindringlichen Mahnungen, unser Verhalten endlich den Gegebenheiten anzupassen.

Der Mensch ist träge, und die Entpolitisierung hat inzwischen weite Kreise der Bevölkerung erfaßt. Der Druck der Öffentlichkeit reicht nicht aus. Reden und Handeln der Politiker klaffen meilenweit auseinander. Lösungsvorschläge gibt es zuhauf, doch bei ihrer Umsetzung hapert es gewaltig. Partikularinteressen haben bislang stets die Oberhand behalten. Die Gier nach Geld geht Hand in Hand mit der Ausbeutung des Menschen und der Natur. Im Zweifelsfall haben nämlich die Interessen der Kapitalanleger Priorität, schließlich muß eine beachtliche Eigenkapitalrendite erwirtschaftet werden. Das ist sozusagen ein Naturgesetz. Koste es, was es wolle. Pro forma bekennen sich zwar selbst die Ackermänner zum Umweltschutz, doch ringt ihnen der Gedanke in Wahrheit wohl nur ein müdes Lächeln ab. Ihr konkretes Handeln, Profite gegenüber allen anderen Gesichtspunkten den Vorzug zu geben, spricht eine deutliche Sprache. Das Umwelt-Blabla ist Lyrik fürs tumbe Volk, nicht mehr. Und solange sich die Mehrheit so leicht hinters Licht führen läßt, wird sich daran auch nichts ändern.

Früher war Bildung noch ein Wert, den man achtete und dem man nacheiferte. Fürs Bürgertum quasi ein Selbstzweck. Bedauerlicherweise hat heutzutage Medien-Trash Hochkonjunktur, Bildung ist mittlerweile bloß etwas für Streber und Weicheier. Diese Einstellung zu ändern, wäre immerhin ein hoffnungsvoller Anfang. Insbesondere die Jugend sollte das beherzigen, denn ist es ihre Zukunft, für die heute die Weichen gestellt werden. Bleibt die Welt auf dem falschen Gleis, haben es vor allem sie auszubaden. Erkennen, was ist; erkennen, wohin es führt - das ist die Grundvoraussetzung von allem.

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[1] HM Treasury, PDF-Datei mit 137 kb