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05. Mai 2005, von Michael Schöfer
Fatale Schrumpfkur


Der Computerriese IBM hat angekündigt weltweit 13.000 Arbeitsplätze (von insgesamt 319.000) zu streichen, nach Angaben der IG Metall sollen damit in Deutschland 2.500 Jobs (von insgesamt 25.000) auf der Kippe stehen [1]. Hierzulande wären das also etwa zehn Prozent der Belegschaft. Der Stellenkahlschlag wäre einigermaßen nachvollziehbar, wenn IBM rote Zahlen schriebe. Aber für das erste Quartal 2005 gab IBM noch vor kurzem einen Gewinn von 1,4 Mrd. Dollar bekannt, der Umsatz stieg um drei Prozent auf 22,9 Mrd. Dollar. Keine schlechte Bilanz. Die Börse zeigte sich dennoch geschockt, denn die Analysten hatten Erlöse von deutlich mehr als 23 Mrd. Dollar erwartet [2]. Mit dem Arbeitsplatzabbau reagiert IBM auf den zuletzt stark abgestürzten Aktienkurs (vgl. den Chart des IBM-Kurses von Juni 2004 bis April 2005).



Hierdurch wird erneut dokumentiert, daß sich die Firmenpolitik der Global Player nur noch an den kurzfristigen Erwartungen der Spekulanten ausrichtet, und nicht an den tatsächlichen Betriebsergebnissen. IBM geht es wahrlich nicht schlecht. Im Jahr 2004 erzielte das Technologie-Unternehmen bei einem Umsatz von 96,5 Mrd. Dollar einen Reingewinn von 8,4 Mrd. Dollar, das waren 8,3 Prozent (beim Umsatz) bzw. 10,3 Prozent (beim Gewinn) mehr als im Jahr zuvor. Ackermänner gibt es offenbar nicht nur in Frankfurt. Wie gehabt führte die Ankündigung, Jobs abzubauen, zu einem Kursgewinn der IBM-Aktie. Im nachbörslichen Handel der New Yorker Börse (NYSE) stieg die Aktie zumindest vorübergehend von 77,08 auf 78 Dollar [3].

Die Kur, die sich IBM verschrieben hat, ist volkswirtschaftlich betrachtet jedoch absolut kontraproduktiv. IBM beklagt schlechte wirtschaftliche Bedingungen in Deutschland, Italien, Frankreich und Japan. Deshalb sollen Arbeitsplätze nach Ungarn und Tschechien verlagert werden. Aber damit fördert IBM nur den Trend, den das Unternehmen lauthals beklagt. Der Arbeitsplatzabbau in Deutschland wird die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nämlich zusätzlich schwächen. Ob sich das auf den hiesigen Umsatz positiv auswirkt, darf man mit Fug und Recht bezweifeln.

Die Strategie von IBM ist charakteristisch für den gegenwärtigen Kurs der Unternehmen. Die Frankfurter Rundschau hat vor zwei Monaten eine Halbzeitbilanz der DAX-Unternehmen vorgelegt, zu diesem Zeitpunkt hatten 15 von insgesamt 30 der im DAX gelisteten Gesellschaften ihre Bilanzen für 2004 vorgelegt. Die Tendenz war eindeutig: "Zusammengerechnet verbuchten die 15 Unternehmen einen Nettogewinn von rund 20 Milliarden Euro, das ist ein Drittel mehr als noch 2003." Doch per Saldo reduzierten die 15 Konzerne ihre Belegschaften in Deutschland "um rund 25.000 Männer und Frauen" [4]. Gewinne rauf, Beschäftigte runter. Kein Wunder, wenn Münteferings Kapitalismuskritik inhaltlich bei 74 Prozent der Bundesbürger auf große Zustimmung stößt [5].

Allerdings soll man den Trend, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, nicht überzeichnen. Vielen Unternehmen geht es auch darum, interessante Absatzmärkte zu erschießen, nicht bloß Steuer- oder Lohnkostenvorteile zu genießen. Investitionen bedeuten schließlich auch Einkommenszuwächse und damit Absatzchancen. Von einer Stärkung dieser Märkte könnte folglich die exportorientierte Bundesrepublik besonders profitieren. Zudem sind in den letzten fünf Jahren (2000 - 2004) mehr Direktinvestitionen vom Ausland nach Deutschland geflossen, als umgekehrt. Der Deutschen Bundesbank zufolge wurden hierzulande per Saldo 64,9 Mrd. Euro mehr angelegt, als abgewandert sind (Zahlungsbilanzstatistik, Stand vom 11.3.2005). Damit hat sich der negative Trend der neunziger Jahre im neuen Jahrtausend sogar gedreht. Ein Indiz für die Stärke des hiesigen Standorts.

Dennoch darf nicht abgewiegelt werden. Der Personalabbau in Deutschland wird sich solange fortsetzen, wie auf dem deutschen Binnenmarkt Flaute herrscht. Dieser Flaute ist freilich nur mit einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik zu begegnen. Die Gewinne, die die Firmen unzweifelhaft erwirtschaften (siehe oben), müssen endlich wieder den Arbeitnehmern zugute kommen. Lohnzuwächse bedeuten mehr Umsatz. Zuwächse beim Umsatz bedeuten mehr Investitionen. Und mehr Investitionen bedeuten mehr Arbeitsplätze. Doch dazu dürfte man die Unternehmen nicht noch einmal steuerlich entlasten. Steuerlich begünstigen müßte man vielmehr die kleinen und mittleren Einkommen der abhängig Beschäftigten. Diesbezüglich geht der Trend, wie der Jobgipfel abermals gezeigt hat, leider in die entgegengesetzte Richtung. Schuld an der ökonomischen Misere sind nicht die schlechten Standortbedingungen in Deutschland, schuld ist die miserable Wirtschaftspolitik der Parteien.

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[1] SPIEGEL-Online vom 04.05.2005
[2] Frankfurter Rundschau vom 16.04.2005
[3] FAZ.Net vom 05.05.2005
[4] Frankfurter Rundschau vom 03.03.2005
[5] Die Zeit Nr. 18/2005