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30. Mai 2005, von Michael Schöfer
Historische Chance Linkspartei?


Manche behaupten ja zur Zeit, es bestehe gegenwärtig die "historische Chance", in Deutschland endlich eine vereinte Linkspartei zu etablieren. Damit meinen sie ein Bündnis von PDS und WASG. In beiden Parteien tobt momentan der Richtungskampf. Zumindest die Neugründung "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" scheint fast genau in der Mitte gespalten zu sein. Die eine Hälfte ist für ein wie auch immer geartetes Bündnis mit der Nachfolgepartei der SED, die andere lehnt ein solches hingegen kategorisch ab. Der Ausgang des Kampfes ist offen. Wahrscheinlich läuft das Ganze auf eine Mitgliederbefragung hinaus.

Es mag durchaus sein, daß ein Bündnis PDS/WASG bei den vor uns liegenden Bundestagswahlen über die 5-Prozent-Hürde kommt. Es kann aber auch genausogut sein, daß dieses Vorhaben mißlingt. Addiert man die Wählerstimmen der PDS (2002: 4,0 Prozent) und der WASG (realistischerweise etwa 2 bis 3 Prozent), könnte die 5-Prozent-Hürde tatsächlich überwunden wird. Und Lafontaine und Gysi sind zugegebenermaßen ein attraktives Spitzenduo. Grundvoraussetzung dabei ist freilich, daß diese simple Addition überhaupt zulässig ist. Die Wahl entscheiden nämlich die Wähler, nicht die Parteifunktionäre. Deshalb muß man die Angelegenheit m.E. stets aus der Perspektive der Wähler beurteilen.

Die PDS erhielt bei der Landtagswahl am 22. Mai 2005 in Nordrhein-Westfalen 72.982 Stimmen (= 0,9 Prozent). Das sind rund 7.000 weniger als bei der Landtagswahl am 14. Mai 2000 (79.934 Stimmen = 1,1 Prozent). Die WASG, die 2005 in NRW zum ersten Mal bei Wahlen antrat, kam auf 181.886 Stimmen (= 2,2 Prozent).

Merkmal Landtagswahl am 22.05.2005 Zum Vergleich:
Landtagswahl am 14.05.2000
Differenz
in %-Punkten
Anzahl % Anzahl %
ohne Sperrvermerk "W" 11 449 724 86,5 11 570 886 88,6  
mit Sperrvermerk "W" 1 780 570 13,5 1 490 302 11,4  
mit selbständigem Wahlschein 72 0,0 77 0,0  
Wahlberechtigte insgesamt 13 230 366 100,0 13 061 265 100,0  
Wähler/-innen 8 333 363 63,0 7 409 399 56,7  
dar. mit Wahlschein 1 690 714 20,3 1 403 820 18,9  
Ungültige Stimmen 89 349 1,1 72 988 1,0  
Gültige Stimmen 8 244 014 100,0 7 336 411 100,0  
davon          
SPD 3 058 988 37,1 3 143 179 42,8 -5,7
CDU 3 696 506 44,8 2 712 176 37,0 +7,9
FDP 508 266 6,2 721 558 9,8 -3,7
GRÜNE 509 293 6,2 518 295 7,1 -0,9
REP 67 220 0,8 83 296 1,1 -0,3
PDS 72 989 0,9 79 934 1,1 -0,2
UNABH. BÜRGER 6 950 0,1 22 059 0,3 -0,2
PBC 6 361 0,1 4 123 0,1 0,0
FAMILIE 4 291 0,1 3 420 0,0 0,0
Die Tierschutzpartei 6 168 0,1 3 075 0,0 0,0
BüSo 6 856 0,1 2 530 0,0 0,0
NPD 73 969 0,9 2 357 0,0 +0,9
ödp 15 751 0,2 1 923 0,0 +0,2
ÖkoLi 184 0,0 304 0,0 0,0
BGD 56 0,0 178 0,0 0,0
UAP 523 0,0 139 0,0 0,0
GRAUE 18 335 0,2 - -  
WASG 181 988 2,2 - -  
Die PARTEI 1 338 0,0 - -  
AMP 940 0,0 - -  
ZENTRUM 1 261 0,0 - -  
LD 100 0,0 - -  
Offensive D 213 0,0 - -  
UNABH. KANDIDATEN 204 0,0 - -  
Einzelbewerber 5 264 0,1 - -  
Sonstige - - 37 865 0,5  

Aus dem Wahlergebnis läßt sich eindeutig ablesen, daß das Gros der Stimmen der WASG nicht aus dem Reservoir der PDS gekommen ist. Laut Wählerwanderung von Infratest-dimap bekam die WASG von der SPD 50.000 Stimmen, von der CDU, der FDP und von den Grünen jeweils 10.000, von anderen Parteien 30.000 und aus dem Nichtwählerbereich stolze 60.000 (vgl. Grafik). Bedauerlicherweise wird die PDS nicht separat ausgewiesen.



Unterstellt man, daß die 7.000 Stimmen, die die PDS 2005 gegenüber 2000 verloren hat, vollständig zur WASG gewandert sind, ändert das nichts an der nüchternen Feststellung, daß die restlichen rund 175.000 Stimmen überwiegend von den etablierten Parteien und aus dem Nichtwählerbereich gekommen sind. Das ist indes ein Reservoir, das für die PDS bislang nicht erreichbar war und es vermutlich auch künftig nicht sein wird. Mit anderen Worten: Zielgruppe der WASG sind Abtrünnige der etablierten Parteien und die Nichtwähler, also die von allen anderen Parteien enttäuschten Wähler, für die die PDS allerdings keine geeignete Alternative darstellt.

Im Umkehrschluß bedeutet das: Praktisch alle Stimmen, die die WASG potentiell erreichen kann, kommen aus einem politischen Spektrum, das der PDS äußerst skeptisch gegenübersteht. Wenn die WASG jetzt zusammen mit der PDS ein Bündnis eingeht, würden diese Wähler möglicherweise schnell wieder abspringen. Eine rechnerische Addition der Stimmen für die PDS und für die WASG könnte sich mithin als Trugschluß und damit für die WASG als verheerend erweisen. Dann ist es schnell aus mit der vermeintlich "historischen Chance". Dann ist es aber auch aus mit der WASG. Wer das Stigma PDS einmal angeheftet bekommt, wird es kaum wieder los. Ob es Lafontaine und Gysi am Ende herausreißen, ist ungewiß. Es ist ein Vabanquespiel, sich darauf zu verlassen.