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06. Juli 2005, von Michael Schöfer
Oskar Lafontaines "Fremdarbeiter"-Äußerung


Der Spitzenkandidat des neuen Linksbündnisses aus PDS und WASG, Oskar Lafontaine, wird momentan systematisch diffamiert. Wegen seiner "Fremdarbeiter"-Äußerung wird er gerade in die extreme rechte Ecke gerückt (vor ein paar Tagen war es freilich noch die extreme linke). Jörg Schönbohm, Brandenburgs Innenminister (CDU), will ihn deshalb sogar vom Verfassungsschutz beobachten lassen. "Der Sozialist Lafontaine sucht offenbar bei den Neo-Nazis seine Wähler. Wenn er so weitermacht, könnte das ein Fall für den Verfassungsschutz werden", sagte Schönbohm. [1] Die Wochenzeitung "Die Zeit" titelt sogar in bewußter Anspielung auf den österreichischen Rechtspopulisten: "Oskar Haider". [2]

Was hat Lafontaine konkret gesagt? Laut der "Zeit" folgendes: "Oskar Lafontaine betrachtet es als Staatspflicht, deutsche 'Familienväter und Frauen' davor zu schützen, dass 'Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen'." Und den Terminus "Fremdarbeiter" charakterisiert das Blatt als "Nazi-Begriff". [3] So weit, so schlecht. Es war natürlich jedem klar, daß sich die etablierten Parteien auf den für sie äußerst gefährlichen einstigen SPD-Vorsitzenden einschießen würden. Hierbei ist ihnen offenbar jedes Mittel recht. Die Diffamierungen begannen bereits aufzuleben (ganz verschwunden waren sie ja nie), als Lafontaine immer wieder Interesse in Richtung PDS/WASG bekundete. Doch seitdem er designierter Spitzenkandidat der Linkspartei ist, gleiten die Vorwürfe langsam ins Groteske ab. Lafontaine, der sich schon zu einer Zeit für ein modernes Staatsbürgerrecht stark gemacht hat, als andere noch an der anachronistischen Blut- und Abstammungsideologie festhielten, in die rechte Ecke zu rücken, ist einfach absurd. Vor allem, wenn man sich ansieht, von wem diese Vorwürfe kommen.

Schönbohm. Ausgerechnet Schönbohm. Der ehemalige General ist wohl der letzte Kronzeuge, den man in diesem Zusammenhang präsentieren sollte. Ist das der gleiche Schönbohm, der in seiner Zeit als Berliner Innensenator "für Ausländer in Innenstadtbezirken mit hohem Ausländeranteil eine Zuzugssperre erlassen" wollte und hierbei eine "Quotenregelung von maximal 20 Prozent" propagierte? [4] Ist das der gleiche Schönbohm, der einst forderte "Ausländergettos" aufzulösen, obendrein der multikulturellen Gesellschaft eine Absage erteilte und manche Viertel in Berlin als "nicht mehr in Deutschland befindlich" bezeichnete? [5] Ist das der gleiche Schönbohm, dem zufolge Deutschland "nicht alle Mühseligen und Beladenen" durchfüttern könne? [6] Ist das der gleiche Schönbohm, der ehedem der rechten Monatszeitung "Junge Freiheit" ein Interview gab und dies damit rechtfertigte, "er habe denen zeigen wollen, dass Teile ihrer Inhalte auch von der CDU vertreten würden"? [7] Und ausgerechnet so einer schwingt sich jetzt zum Richter auf?

Lafontaine wollte lediglich auf die soziale Situation vieler Menschen aufmerksam machen, die sich zu Recht von Lohndumping bedroht fühlen. Seine Rezepte, etwa der gesetzliche Mindestlohn, sind jedoch mitnichten rechte Rezepte. Sie sind auf keinen Fall mit fremdenfeindlichen Rezepten a la Haider, DVU oder NPD gleichzusetzen. Solche Parallelen zu ziehen, ist lächerlich. Der Begriff "Fremdarbeiter" scheint unglücklich gewählt, wird er doch meist auf die Zwangsarbeiter während der Nazi-Diktatur angewandt. Meist, aber nicht ausschließlich. So berichtete beispielsweise die Frankfurter Rundschau am 15.01.2003 vom hundertjährigen Jubiläum der "Butzbach-Licher Eisenbahn". Zitat: "1902 begann mit der Gründung der "Butzbach-Licher Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft" auch für die Wetterau das Eisenbahn-Zeitalter. Doch bevor die ersten Dampfloks von Butzbach aus durchs Wettertal nach Lich fauchten, mussten die Bauarbeiter noch einige Hindernisse überwinden. Neun Monate hatte sich die Berliner Firma Lenz & Co. Zeit gegeben. Dann aber schufteten die Baukolonnen, unter ihnen etwa 100 italienische Fremdarbeiter, zwei Jahre an der 19 Kilometer langen Schienenstrecke."

Die gleiche Zeitung am 12.01.2000: "Deutschland muss den UN-Erhebungen zufolge eine halbe Million zusätzlicher Fremdarbeiter aufnehmen." Es ging in dem Artikel um eine Studie über das Auffangen des demographischen Wandels mit Hilfe von Einwanderern. In einem Bericht über Saudi-Arabien am 13.08.1999 formulierte die FR: "Trotz einiger Millionen Fremdarbeiter im Lande, darunter viele christliche Filipino oder Inder, gibt es im Königreich nicht eine einzige Kirche." Und zum Schluß noch ein Bericht über die Dominikanische Republik vom 07.06.1999: "Politiker in der Dominikanischen Republik verweisen Kritiker, darunter gelegentlich auch die ILO oder besorgte UN-Gremien, auf Gesetze, die erlassen wurden, um den Status der Fremdarbeiter zu legalisieren." Die "Fremdarbeiter", um die es hier ging, waren Arbeitssuchende aus dem Nachbarstaat Haiti. In allen Fällen ging es nicht um Zwangsarbeiter.

Wie man sieht, verwenden selbst der Deutschtümelei völlig unverdächtige Publikationen zuweilen den Terminus "Fremdarbeiter". Doch darüber regt sich niemand auf, Lafontaine hingegen wird plötzlich als Rechter gebrandmarkt. Dafür gibt es nur einen einzigen Grund: Die bevorstehenden Bundestagswahlen und die Angst der etablieren Politiker vor der Wahlniederlage.

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[1] Kölnische Rundschau vom 06.07.2005
[2] Die Zeit 26/2005
[3] Die Zeit 26/2005
[4] Frankfurter Rundschau vom 03.04.1998
[5] Frankfurter Rundschau vom 04.06.1998
[6] Frankfurter Rundschau vom 12.11.1998
[7] Freitag vom 03.09.1999