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01. August 2005, von Michael Schöfer
Quo vadis Saudi-Arabien?


Machtwechsel in Saudi-Arabien: König Fahd ist tot. Sein Halbbruder, Kronprinz Abdullah, wurde umgehend zu seinem Nachfolger bestimmt. Der saudische Machtwechsel ist jedoch im Grunde keiner, denn inoffiziell war Abdullah längst mit der Regentschaft des ölreichsten Landes der Erde betraut. Seit 1995 war König Fahd wegen eines Schlaganfalls faktisch handlungsunfähig. Gleichwohl gilt Abdullah ob seines hohen Alters von 81 Jahren nur als Übergangslösung.

Der Wahhabitismus, eine besonders rigide Richtung des Islam, der eine sehr strenge Einfachheit des Lebens verlangt, ist in Saudi-Arabien Staatsreligion. Der Begründer des Wahhabismus, Muhammad Ibn Abd Al Wahhab (1703 bis 1791), predigte eine Rückkehr zu den Werten und der Lebensweise des Propheten Mohammed. Nach Ansicht der Wahhabiten sind sie die einzig wahren Moslems.

Das saudische Königshaus, das etwa 30.000 Mitglieder umfaßt, bezeichnet sich selbst als "Hüter der beiden heiligen Stätten" (Mekka und Medina) und seine Herrschaft als die "Statthalterschaft Allahs". Die üppige Lebensweise der Königsfamilie entspricht allerdings in keiner Weise den Lehren des Wahhabitismus. Das Vermögen des verstorbenen Fahd wird auf 48 Mrd. Euro geschätzt, jeder der mehr als 10.000 Prinzen erhält eine monatliche Apanage von bis zu 230.000 Euro. Die Prunk- und Verschwendungssucht der Königsfamilie ist legendär.

Im scharfen Kontrast dazu steht das Elend der Bevölkerung, die Arbeitslosigkeit beträgt 25 Prozent, ebenso hoch ist die Analphabetenrate. Die riesigen, aus dem Export von Erdöl resultierenden Außenhandelsüberschüsse (2002: rund 60 Mrd. US-Dollar) reichen nicht für alle 22 Mio. Einwohner. Unter anderem deshalb haben es islamische Fundamentalisten immer wieder verstanden, die Herrscherfamilie als unislamisch und moralisch verkommen anzuprangern. Der Druck aufs Königshaus hat sich vor allem seit der Stationierung amerikanischer Soldaten verstärkt, die König Fahd während des ersten Golfkriegs (1990/1991) ins Land ließ.

Aber auch von Modernisierung und Demokratie wollte man im Hause Fahd nichts wissen. So wurden kürzlich drei Reformer wegen "Ungehorsams gegen die Staatsgewalt" zu sechs bis neun Jahren Haft verurteilt, u.a. weil sie freie Parlamentswahlen gefordert hatten [1]. Das Königshaus sieht sich folglich Angriffen von zwei Seiten ausgesetzt: Einerseits die islamischen Fundamentalisten, die eine Rückbesinnung auf die offizielle Staatsreligion und die Verdammung jeglicher Erneuerung propagieren. Und andererseits eine kleine Minderheit, welche endlich demokratische Veränderungen einfordert.

Würde Saudi-Arabien nicht mit Abstand über die größten Erdölreserven der Welt verfügen (2003: 262,7 Mrd. Barrel) und zudem mit 10 Prozent der weltweiten Förderung auch noch der größte Erdöllieferant sein [2], könnte uns das relativ gleichgültig sein. Doch die westliche Wirtschaft hängt am Tropf des saudi-arabischen Öls. Das absehbare Versiegen anderer Ölquellen und der konstant steigende Weltbedarf werden es in Zukunft sogar noch kostbarer machen. Insofern dürfen uns die Vorgänge dort nicht egal sein. Die Frage ist, inwieweit wir sie überhaupt zu beeinflussen in der Lage sind. Natürlich haben auch die Fundamentalisten Kenntnis über die Bedeutung des Öls für die westliche Wirtschaft. Eine abrupte Unterbrechung saudischer Lieferungen würde den Ölpreis in schwindelerregende Höhen treiben und könnte womöglich einen ökonomischen Kollaps auslösen.

Der Westen kann seine Abhängigkeit vom Erdöl nur durch eine konsequente ökologische Modernisierung seiner Wirtschaft verringern. Ob er die Ölquellen politisch oder militärisch dauerhaft sichern kann, ist fraglich. Die Herrschaft des saudischen Königshauses steht nämlich auf tönernen Füßen. Es ist offen, wie groß dieses Zeitfenster sein wird. Ändert sich nichts an unserer Abhängigkeit, könnte das früher oder später zu einem bösen Erwachen führen.

Zwischen 1990 und 2003 sind die energiebedingten CO2-Emissionen der USA um 17,4 Prozent gestiegen, andernorts sind die Steigerungen noch viel höher (China +62,5 Prozent, Indien +83,3 Prozent, Südkorea +105,7 Prozent). [3] Diese gegenläufige Tendenz, steigender Bedarf und das Versiegen von Ölquellen, ergibt auf Dauer eine hochexplosive Mischung. Wir sollten uns klugerweise aus dieser einseitigen Abhängigkeit befreien. Und zwar dadurch, indem wir unsere Wirtschaft zielstrebig von fossilen auf regenerative Energieträger umrüsten.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 17.05.2005
[2] Frankfurter Rundschau vom 29.09.2004 und 04.06.2004
[3] Frankfurter Rundschau vom 28.07.2005