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28. November 2005, von Michael Schöfer
Hauptsache Optimismus


"Der Einzelhandel hat nach dem ersten Adventssamstag gedämpften Optimismus gezeigt. In Hessen, Baden-Württemberg, Sachsen oder Bayern berichteten die Landesverbände von einem recht zufriedenstellenden Start", schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) heute. Das Blatt goß aber zugleich ein bißchen Wasser in den Wein der Euphorie: "Nach einer Umfrage der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte wollen viele Menschen beim diesjährigen Weihnachtseinkauf sparen."

Die Financial Times Deutschland (FTD) wiederum meldete Begeisterung beim Handel: "Die Einzelhandels-Verbände berichteten von vollen Warenhäusern nicht nur am Samstag. Auch das Geschäft am Sonntag in den rund 200 Städten, die den Verkauf von 13.00 bis 18.00 Uhr erlaubten, wurde durchweg positiv beurteilt. (...) Der verkaufsoffene Sonntag ist prima angelaufen. Einfach exzellent." [1]

Aber anders als bei der FAZ, sollen die Aussichten laut FTD weiterhin gut bleiben: "Die Deutschen wollen in diesem Jahr deutlich mehr Geld für Weihnachtsgeschenke ausgeben als 2004. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes ipsos." Im Durchschnitt planen die Konsumenten angeblich eine Mehrausgabe von zehn Prozent. Ein bißchen verwirrend ist freilich, daß die FTD gleich eine dem positiven Trend widersprechende Einschätzung auf dem Fuße folgen läßt: "Im vergangenen Jahr setzte die Branche [der deutsche Einzelhandel, Anm. d.Verf.] im November und Dezember 68,1 Mrd. Euro um - es war der dritte Rückgang in Folge. Dieses Ergebnis soll in diesem Jahr gehalten werden."

Was sollen wir nun glauben? Wollen viele Menschen, wie die FAZ behauptet, beim diesjährigen Weihnachtsfest sparen? Oder werden sie, wie die FTD unterstellt, deutlich mehr Geld ausgeben? Werden im Weihnachtsgeschäft zehn Prozent mehr Umsatz getätigt oder darf, wie der Einzelhandel befürchtet, bestenfalls vom Halten des Ergebnisses gesprochen werden?

Nach Angaben der Financial Times kommen die zehn Prozent Mehrausgaben wie folgt zustande: "Die Bereitschaft, großzügig zu schenken, ist vor allem in den höheren Einkommensgruppen zu spüren. In Haushalten, in denen das Nettoeinkommen über 3500 Euro pro Monat liegt, werden mit 817 Euro pro Person voraussichtlich rund 30 Prozent mehr ausgegeben als im Vorjahr. In Haushalten mit weniger als 1500 Euro netto im Monat sinken dagegen die geplanten Ausgaben für Geschenke leicht von 318 auf 294 Euro im Durchschnitt."

Die Besserverdienenden können - wie gewohnt - mehr ausgeben, während die Wenig- oder Durchschnittsverdiener notgedrungen bescheidener auftreten müssen. Mit anderen Worten: Die Einkommensschere öffnet sich immer weiter. Auch daran haben sieben Jahre Rot-Grün nichts geändert. Doch die sich widersprechenden Prognosen sind letztlich nicht mehr als Kaffeesatzleserei oder demonstrativ zur Schau getragener Zweckoptimismus. Wir sollten uns daran erinnern, daß der Einzelhandelsverband im letzten Jahr am ersten Adventswochenende ebenfalls gejubelt hat - das Gesamtergebnis indes war enttäuschend.

Woher sollen die steigenden Ausgaben der Privathaushalte überhaupt kommen? Der Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom November 2005 belegt das ständige Absinken der Einkommen der Privathaushalte. Die Bruttolöhne und -gehälter sind das letzte Mal im dritten Quartal 2004 um magere 0,1 Prozent gestiegen. Im vierten Quartal stagnierten sie auf der Nullinie. In den drei Quartalen dieses Jahres sind sie jedoch gesunken (- 0,1 Prozent / - 0,4 Prozent / - 0,5 Prozent). [2] Und das wohlgemerkt im Durchschnitt. Die unteren und mittleren Einkommensbereiche, mithin die Masse der Konsumenten, traf es wesentlich härter als die oberen.

"Für 2005 erwartet das Institut der deutschen Wirtschaft, dass etwa 2,8 Millionen Arbeitnehmern das tariflich festgeschriebene Weihnachtsgeld gekürzt oder gestrichen wird", berichtete die Frankfurter Rundschau am 22.11.2005. Auch der Bund will bei seinen Beamten, Wehr- und Zivildienstleistenden das Weihnachtsgeld kürzen. Allerorten ist Sparen angesagt. Aus betrieblicher Sicht mag das vielleicht im Einzelfall sinnvoll sein, doch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist so etwas, eben weil es viele tun, verheerend. Überdies streichen selbst Betriebe, denen es prächtig geht, die Einkommen der Beschäftigten zusammen. Die Gewinne transferiert man vorzugsweise in die Taschen der Anteilseigner.

Da helfen dann weder verkaufsoffene Sonntage noch eine generelle Freigabe der Ladenöffnungszeiten. Die Menschen können nur das ausgeben, was sie haben. Eigentlich eine Binsenweisheit, die aber von vielen unverständlicherweise ignoriert wird. Nicht Kaufunlust ist Ursache der Konsumflaute, sondern zurückgehende Einkommen, der Verlust an Massenkaufkraft. Wie oft muß man das noch sagen?

Die Spirale nach unten dreht sich munter weiter. Rhetorik kann der Misere aber keinen Einhalt gebieten. Man kann den Aufschwung nicht herbeireden. Rhetorik kann Trends verstärken, sie aber nicht total umdrehen, zumal wenn das konkrete Handeln den eigenen Bekundungen widerspricht. Soweit man das bislang sagen kann, wird sich daran auch mit Schwarz-Rot nichts grundlegend ändern. Den Bürgern wird Entlastung suggeriert, während man ihnen in Wahrheit erneut Belastungen aufbürdet. Insofern sind die Aussichten nach wie vor düster.

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[1] Financial Times Deutschland vom 27.11.2005
[2] Deutsche Bundesbank, Monatsbericht November 2005, Tabelle "Einkommen der privaten Haushalte", PDF-Datei mit 30 kb


Nachtrag (01.02.2006):
Wie die Frankfurter Rundschau heute meldet, lag der Einzelhandelsumsatz im Dezember 2005 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes preisbereinigt um 1,6 Prozent unter dem Vorjahr. Die Jubelmeldungen von einem guten Start des Weihnachtsgeschäfts erwiesen sich also abermals als purer Zweckoptimismus. Die Daten belegen zudem, daß man mit Optimismus allein keine Wirtschaftspolitik betreiben kann, was wir vielmehr brauchen sind substantielle Verbesserungen bei der Kaufkraft. Die Kritiker haben wieder einmal recht behalten.

Nachtrag (21.02.2006):
Das Statistische Bundesamt hat seine Angaben über den Einzelhandelsumsatz des Vorjahres korrigiert. Danach ist der Umsatz im Dezember 2005 nicht um 1,6 Prozent gesunken, sondern "nur" um 0,9 Prozent.