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26. April 2009, von Michael Schöfer
Heiße Luft


"Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) will das Elterngeld für Mütter und Väter in Teilzeitarbeit verbessern. Künftig soll das Elterngeld bei Teilzeitbeschäftigung länger in Anspruch genommen werden können. (...) Statt wie bisher 14 Monate sollen Familien bis zu 28 Monate Elterngeld beziehen können - wenn sie Teilzeit arbeiten." [1]

Wie schon beim publikumswirksamen, aber - folgt man zumindest den Experten - weitgehend wirkungslosen und gleichzeitig grundrechtsgefährdenden Kampf gegen Kinderpornos im Internet ist die Bundesfamilienministerin erneut in aller Munde. Diesmal will sie mit mit einer Reform glänzen, die die Familien finanziell deutlich besser stellen soll.

Die Presse jubelt pflichtschuldig: "Mütter und Väter können die 14 Monate bislang so aufteilen, wie sie wollen, wobei der Maximalzeitraum pro Elternteil auf zwölf Monate begrenzt ist. (...) Nach den neuen Plänen der Familienministerin sollen Eltern im Fall von Halbtagsarbeit auch halbe Elterngeldsmonate angerechnet bekommen - insgesamt bis zu 28." [2] Ohne Zweifel ein gewaltiger Propagandacoup. Doch glänzt von der Leyen auch mit Sachkunde?

§ 6 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (Auszahlung und Verlängerungsoption) lautet: "Das Elterngeld wird im Laufe des Monats gezahlt, für den es bestimmt ist. Die einer Person zustehenden Monatsbeträge werden auf Antrag in jeweils zwei halben Monatsbeträgen ausgezahlt, so dass sich der Auszahlungszeitraum verdoppelt. Die zweite Hälfte der jeweiligen Monatsbeträge wird beginnend mit dem Monat gezahlt, der auf den letzen Monat folgt, für den der berechtigten Person ein Monatsbetrag der ersten Hälfte gezahlt wurde."

Ein Elterngeld-Kommentar zum § 6 des Elterngeldgesetzes erläutert: "Die Berechtigten haben nach Satz 2 die Möglichkeit, den Auszahlungszeitraum zu verlängern. Damit wird es ihnen ermöglicht, einen bis zu 28 Monate langen Ausgleich zumindest von Teilen ihrer Einkommenseinschränkungen zu erhalten. Aus Gründen der Gleichbehandlung muss die Verdoppelung des Auszahlungszeitraums zur Halbierung des pro Monat zustehenden Betrags führen." [3] Und nach § 1 Abs. 6 ist auch eine Teilzeitbeschäftigung bis zu 30 Wochenstunden zulässig.

Mit anderen Worten: Die von der Bundesfamilienministerin großspurig angekündigte Verlängerung auf 28 Monate gibt es schon. Ein Blick ins Gesetz hätte vollauf genügt. Von einer Verlängerung des vollen (!) Betrags auf 28 Monate spricht Frau von der Leyen jedoch nicht (nur das wäre eine echte Verbesserung für die Familien). Sie verkauft also nur, was ohnehin bereits existiert. Von daher ist der Jubel der Presse absolut unverständlich.

Stattdessen schwadroniert von der Leyen im konservativen Leib- und Magenblatt: "In der Wirtschaftskrise muss Familienpolitik sich auf das Wesentliche konzentrieren: Armut verhindern." [4] So, so, Armut verhindern. Nach dem jetzt gültigen Gesetz bekommt man 12 Monate lang Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des durchschnittlichen Monatseinkommens ausgezahlt (maximal 1.800 Euro). Und: "Elterngeld wird mindestens in Höhe von 300 Euro gezahlt. Dies gilt auch, wenn in dem (...) maßgeblichen Zeitraum vor der Geburt des Kindes kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt worden ist." [vgl. § 2, Höhe des Elterngeldes]

Das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz hat am 01.01.2007 das bis dahin gültige Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) abgelöst. Der Regelbetrag des früheren Erziehungsgeldes betrug 300 Euro, den bekamen Erwerbslose allerdings 24 Monate lang ausgezahlt. [vgl. § 5] Das heißt, für Erwerbslose bedeutete der Wechsel vom Erziehungsgeld zum Elterngeld eine deutliche Verschlechterung, deren Anspruch wurde nämlich mit dem neuen Gesetz halbiert (von 24 x 300 Euro auf 12 x 300 Euro). Andererseits erhalten Besserverdienende seither eine erheblich höhere Förderung. Ausgerechnet die, die die Unterstützung am nötigsten hatten, wurden also krass benachteiligt.

Wie war das nochmal? "In der Wirtschaftskrise muss Familienpolitik sich auf das Wesentliche konzentrieren: Armut verhindern." Schöne Worte. Bloß dumm, dass die Politik der CDU-Ministerin genau in die entgegengesetzte Richtung geht. Verantwortlich für die damalige Gesetzesänderung: Ursula von der Leyen - die sich sonst gerne medienwirksam gegen die Kinderarmut engagiert. Die Bundesfamilienministerin leidet offenbar unter Profilierungssucht, de facto hat sie lediglich heiße Luft anzubieten (jedenfalls aus der Sicht der wirklich Bedürftigen, denn die werden durch die Politik von der Leyens sogar geschädigt).

Dass BILD nicht kritisch nachfragt, versteht sich gewissermaßen von selbst. Doch wie sieht das beim vermeintlichen Qualitätsjournalismus aus? In Bezug auf die Weltwirtschaftskrise hat Lionel Barber von der Financial Times gerade zu Recht die "Blindheit der Journalisten" beklagt. [5] Ein klares Schuldeingeständnis. In Bezug auf die Propagandafeldzüge der Bundesfamilienministerin sind die Journalisten aber ebenfalls mit Blindheit geschlagen. Kritische Nachfragen, sachkundige Erläuterungen? Fehlanzeige. Ich fürchte, das müssen mal wieder die Blogger leisten.

Hoffentlich kommt es nicht so weit, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, deshalb hier bald Folgendes finden werden: Link

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[1] Focus vom 24.04.2009
[2] Financial Times Deutschland vom 24.04.2009
[3] elterngeld.net
[4] BILD vom 24.04.2009
[5] Financial Times Deutschland vom 23.04.2009