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13. August 2010, von Michael Schöfer
Who needs Michael Balack?


Nominell noch Chef, de facto keiner mehr. Als sich der Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft kurz vor der WM in Südafrika verletzte und die Teilnahme am Turnier abschreiben konnte, sanken in den Augen der meisten Beobachter die Chancen der deutschen Elf auf den Titelgewinn rapide. Doch an Afrikas Südzipfel schlossen jüngere Spieler nahezu mühelos die klaffende Lücke, allen voran Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm und Thomas Müller. Who needs Michael Balack, hieß es fortan. Jetzt fragen sich die 80 Millionen Bundestrainer im Land: Wann geht er endlich?

Das ist überhaupt die Kardinalfrage, insbesondere in der Politik. Bislang hat noch jeder Politiker irgendwann seinen Abschied genommen. Manche freiwillig, wie Ole von Beust. Manche völlig überraschend, wie Horst Köhler. Manche mit zunächst rätselhaften Beweggründen, wie Oskar Lafontaine. Manche gezwungenermaßen, wie Gerhard Schröder. Und manche unter beschämenden Umständen, wie Uwe Barschel. Wie auch immer, das Schicksal des Abschieds ereilt früher oder später jeden.

Häufig halten alte Schlachtrösser bis zum Erbrechen an ihren Ämtern fest, so dass sich die Bevölkerung nichts sehnlicher wünscht, als deren baldigen Abgang. Beispiel Helmut Kohl: 16 Jahre lang regierte er das Land und ist damit - zeitlich betrachtet - als Kanzler der absolute Rekordhalter. Zehn Jahre hätten es in den Augen der meisten Zeitgenossen auch getan. Am Ende war Kohl den Wählern so zuwider, dass er unfreiwillig Geschichte schrieb: Erstmals wurde eine Bundesregierung komplett abgewählt. Einfach niederschmetternd.

Auch bei Fidel Castro fragen sich viele: Wann geht er endlich? Doch der Máximo Líder hält in Kuba nach seiner erstaunlichen Genesung offenbar immer noch die Fäden in der Hand. Übrigens ganz ohne Staatsamt. Das heißt, man könnte ihn, selbst wenn es auf der Karibikinsel freie Wahlen gäbe, nicht einmal in die Wüste schicken.

Wenn sich in Hollywood-Schnulzen zwei Menschen näher zu kommen scheinen, steuert der Plot in der Regel gleich zu Beginn auf die Frage zu: Hat die Angebetete auch einen - selbstverständlich extrem bösartigen - Ehegatten respektive Freund? Der Rest des Filmes beschäftigt sich dann hauptsächlich mit der Frage, wie man das Hindernis am besten los wird. Mit List und Tücke natürlich. Logischerweise zu guter Letzt erfolgreich, sonst gäbe es ja kein Happy-End. Manchmal wird aus dem Ehegatten respektive Freund eine Leiche und aus der Schnulze somit ein Krimi.

Hollywoodreif ist momentan auch die Inszenierung der schwarz-gelben Bundesregierung. In Ermangelung einer schlagkräftigen Opposition übernimmt sie diese Rolle gleich selbst, obwohl das im Plot ursprünglich gar nicht vorgesehen war. Und wie man neidlos anerkennen muss, erledigt sie diese Arbeit mit wesentlich größerem Erfolg als das Regieren. Inzwischen fragen sich die Bürger: Wann gibt es endlich ein Happy-End? Sprich: Wie werden wir die am besten wieder los?

Daraus folgt unweigerlich die Erkenntnis: Selbst Angela Merkel wird dereinst gehen müssen, nur der Zeitpunkt und die näheren Umstände sind noch ungewiss. Den Meinungsumfragen zufolge ist ihr Abgang nicht mehr fern, allerdings hat man das auch Helmut Kohl ständig prophezeit. Wie sich herausstellte, jahrelang zu Unrecht. Angela Merkel ist, um den Eingangsfaden wieder aufzugreifen, also gewissermaßen der Michael Balack der deutschen Politik. Nominell noch Chefin... Bis es heißen wird: Who needs Angela Merkel?