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08. Februar 2011, von Michael Schöfer
Das Internet könnte so schön sein


Eine Plattform, auf der unablässig Nachrichten und Meinungen ausgetauscht werden, gewissermaßen eine unzensierte globale Bildungseinrichtung. Doch wie im richtigen Leben kommt irgendeine Interessengruppe daher und errichtet einen Zaun. Hinter dem Zaun steht dann unübersehbar auf einem Schild: "Dies gehört mir. Mir allein." Jean-Jacques Rousseau: "Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen 'Dies gehört mir' und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: 'Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört'."

"Gibt es ein Recht an einer Körperhaltung?", fragt die Süddeutsche. Hintergrund: Konrad Rufus Müller, Fotograf des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl, will den Focus verklagen. Und weshalb? Weil das Magazin auf dem Cover der Ausgabe vom 24. Januar 2011 ein Bild von Helmut Kohl veröffentlicht hat. Das Bild stammt zwar nicht von Müller, sieht aber einem Bild von Müller ziemlich ähnlich. 20.000 Euro Honorar will der Fotograf einklagen. "Es geht um die Frage, ob es so etwas wie ein Recht an einer Pose gibt", schreibt die Süddeutsche. [1] Eine absurde Klage, denkt der Normalbürger zunächst. Nun, warten wir erst einmal den Ausgang des Prozesses ab. "Vor Gericht und auf hoher See sind wir allein in Gottes Hand", wussten schon die Römer.

Die Zeitungsverleger lieben bedrucktes Papier. Nun, das ist schließlich deren Geschäft. Das Internet empfinden sie dagegen als Gefahr, obgleich sie dort selbst präsent sind. Immerhin haben sie es erreicht, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender Inhalte auf ihren Websites meist schon nach einer Verweildauer von sieben Tagen entfernen müssen. Das schreibt der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag von 2009 vor, auf dessen Inhalt der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger massiv Einfluss genommen hat. Man greift sich an den Kopf: Da produzieren die Öffentlich-Rechtlichen mit ihrem Gebührenaufkommen Inhalte, müssen diese aber rasch wieder löschen, weil ein längerer Verbleib angeblich die Verleger schädigt. Letztere beanspruchen also quasi das Monopol auf Medieninhalte.

Und die Verleger geben keine Ruhe, neuerdings fordern sie vehement ein "Leistungsschutzrecht", was die Politik prompt aufgegriffen hat. Das Leistungsschutzrecht ist bereits in der Planungsphase. Der juristische Bannstrahl der Verleger soll Nachrichtenwebsites wie "Google-News" treffen. Mario Sixtus hat das absurde Ansinnen vor kurzem in geradezu hinreißender Manier zerpflückt.

Die Süddeutsche Zeitung, die sich über den klagefreudigen Kanzlerfotograf Müller - zumindest zwischen den Zeilen - noch lustig machte, ist selbst recht klagefreudig. Zusammen mit der FAZ hat sie bekanntlich das Portal "Perlentaucher" vor den Kadi gezerrt, weil dort mit dem Zitieren von Rezensionen Geld verdient wird. Der Bundesgerichtshof stellte allerdings fest: "Es ist urheberrechtlich grundsätzlich zulässig, den Inhalt eines Schriftwerks in eigenen Worten zusammenzufassen und diese Zusammenfassung zu verwerten." Der Rechtsstreit ist zwar noch nicht ganz abgeschlossen, über Einzelheiten muss die Vorinstanz erneut befinden, mit ihrem eigentlichen Anliegen haben FAZ und SZ freilich Schiffbruch erlitten.

Doch die publizistischen Flaggschiffe lassen nicht locker, nun haben sie das kleine Nachrichtenportal "commentarist" durch die Androhung von rechtlichen Schritten vorerst vom Netz genommen. "Der Spiegelfechter" Jens Berger hat den Vorgang in einem lesenswerten Beitrag ("Kanonen gegen Online-Spatzen") kommentiert. Es geht nicht bloß um die Behinderung eines Nachrichtenportals. Jens Berger: "Nach den Vorstellungen der Verleger soll künftig sogar der Gebrauch von 'Snippets', also kurzen Anrissen des verlinkten Artikels, illegal sein, sofern zuvor keine Zustimmung vom Rechteinhaber eingeholt wurde – unabhängig davon, ob dies aus kommerziellen Interessen geschieht oder nicht. Damit wären dann nicht nur Google-News, sondern auch die Hinweise des Tages der Nachdenkseiten und viele Blogs de facto illegal und könnten abgemahnt werden." Mit anderen Worten: Es geht um einen massiven Eingriff in die Meinungsfreiheit. "Wie soll beispielsweise ein Autor einem anderen Autoren widersprechen, wenn er ihn nicht zitieren darf?", fragt Berger zu Recht.

Hierzulande regt man sich zwar mächtig über die Internet-Zensur in Staaten wie Iran, China oder Ägypten auf. Aber gleichzeitig steuert man de facto, auch wenn es den Verlegern vorrangig um Geschäftsinteressen geht, in die gleiche Richtung. Konsequenz ist die Behinderung des öffentlichen Diskurses. Ob die Einschränkung der Meinungsfreiheit aus finanziellen oder politischen Erwägungen heraus erfolgt, ist letztlich egal, ohnehin gehen geschäftliche und politische Interessen meist Hand in Hand. Silvio Berlusconi lässt grüßen.

Ich schätze die Süddeutsche, wenngleich mir der Wirtschaftsteil viel zu neoliberal ausgerichtet ist. Aber ich kann mir trotzdem eine eigene Meinung bilden. Warum? Nun, weil man nicht nur Kommentare von Marc Beise (Leiter der SZ-Wirtschaftsredaktion) lesen muss. Zum Glück gibt es, nicht zuletzt im Internet, jede Menge Alternativen. Außerdem ist es durchaus interessant, sich auch mit neoliberalen Positionen auseinanderzusetzen. Ich fürchte nur, das mit den Alternativen im Internet könnte sich demnächst ändern. Auf unbequeme Blogger und kritische Websites könnte eine Abmahn- und/oder Klagewelle zurollen. Ob ich unter diesen Umständen weiterhin Abonnent der SZ bleibe, ist fraglich. Ich will am Frühstückstisch die Printausgabe einer guten Tageszeitung lesen. Und dieser Wunsch steht überhaupt nicht im Gegensatz zu dem Teil meines Informationsbedürfnisses, das ich nebenbei auch noch im Internet stille. Für mich ist beides unverzichtbar. Mit Bedauern nehme ich zur Kenntnis, dass mir die Verleger offenbar die eine Hälfte vorenthalten wollen. Die, an der sie nichts verdienen und die sie daher als lästige Konkurrenz bewerten. Unter freier Meinungsbildung in einer Demokratie stelle ich mir jedoch etwas ganz anderes vor.

Nachtrag (14.02.2011):
Habe heute mein Abo bei der SZ mit folgenden Worten gekündigt:
Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit kündige ich mein Abonnement der Süddeutschen Zeitung fristgerecht zum 31. März 2011. Wie bereits in meiner E-Mail vom 8. Februar 2011 erwähnt, bin ich über Ihr Verhalten gegenüber der Nachrichtenwebsite "commentarist.de" verwundert und verärgert. Ich interpretiere Ihr juristisches Vorgehen gegen deren Betreiber als Behinderung des freien Informationsflusses im Internet. Und eine Zeitung, die eine unabhängig von den Zeitungsverlagen vorhandene Meinungsbildung unterbinden möchte, kann und werde ich nicht unterstützen. Bedauerlicherweise haben Sie es noch nicht einmal für nötig befunden, auf meine E-Mail zu antworten.
Ich bin am überlegen, ob ich zur Frankfurter Rundschau zurückkehre. Habe dort gerade das E-Paper entdeckt und bin ehrlich gesagt total begeistert. Echt gut gemacht. Vielleicht probiere ich auch einmal die taz aus. Schau'n mer mal.

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[1] Süddeutsche vom 01.02.2011