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03. Oktober 2011, von Michael Schöfer
Ach kommen Sie mir doch nicht mit Fakten


"Trotz steigender Rezessionsängste kann sich das Konsumklima in Deutschland im Herbst dieses Jahres behaupten. Die nach wie vor guten Beschäftigungsaussichten lassen die Erwartungen hinsichtlich zunehmender Einkommen wieder ansteigen. (…) Die gute und weiterhin stabile Beschäftigungslage in Deutschland ist der wesentliche Grund für den gestiegenen Einkommensoptimismus. Ein beträchtlicher Teil der Arbeitnehmer kann in diesem Jahr reale Einkommenszuwächse verzeichnen. Das belegen auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes für das zweite Quartal, wonach die Reallöhne durchschnittlich bereits um 1,9 Prozent angestiegen sind." [1] Die Medien reagieren darauf mit folgender Einschätzung: "Auf den heimischen Konsum ist noch Verlass, allen Konjunkturängsten zum Trotz." [2] Ob auf den Konsum wirklich Verlass ist, wird sich am Ende des Jahres herausstellen, Zweifel daran sind durchaus berechtigt.

Dem Statistischen Bundesamt zufolge sind die realen Konsumausgaben der privaten Haushalte im Jahr 2007 um 0,2 Prozent gesunken. 2008 folgte dann ein Plus von 0,6 Prozent. 2009 war es erneut ein Minus von 0,2 Prozent, dem sich 2010 ein Plus von 0,5 Prozent anschloss. Im Zeitraum von 2007 bis 2010 sind die Konsumausgaben der privaten Haushalte damit um lediglich 0,9 Prozent gestiegen. [3]

Und was prognostizierte die GfK? Für 2007 ein reales Plus von 0,5 Prozent. [4] Für 2008 1,5 Prozent. [5] Für 2009 0,5 Prozent. [6] Für 2010 sagte die GfK eine Stagnation voraus. [7] Macht nach Adam Riese insgesamt 2,5 Prozent.

Vergleichen wir:

Reale Konsumausgaben der privaten Haushalte
Jahr ursprüngliche
Prognose der GfK
Tatsächliche
Entwicklung
Differenz
Prozentpunkte
2007 + 0,5 % - 0,2 % 0,7 %
2008 + 1,5 % + 0,6 % 0,9 %
2009 + 0,5 % - 0,2 % 0,7 %
2010 0,0 % + 0,5 % 0,5 %
2007-2010
= + 2,5 %
= + 0,9 %
1,6 %

Auffallend ist, dass die GfK, wie andere Prognoseinstitute auch, im Verlauf des Jahres ihre Vorhersage der Realität anpassen muss. So sagte sie beispielsweise für 2008 ursprünglich ein Wachstum des privaten Konsums um 1,5 Prozent voraus [8], im März 2008 korrigierte sie sich auf 1 Prozent [9], im Juni 2008 senkte sie ihre Prognose erneut auf 0,5 Prozent [10], um schließlich im September 2008 bei 0,0 Prozent zu landen [11]. Am Ende verbuchte das Statistische Bundesamt ein Plus von 0,6 Prozent. Schon allein von daher fragt sich, was solche Prognosen eigentlich wert sind. Offenbar nicht viel, denn die Treffgenauigkeit lässt sehr zu wünschen übrig.

Doch die GfK treibt es noch wesentlich toller: "Wie von der GfK prognostiziert, stieg der private Konsum im vergangenen Jahr um 0,5 Prozent an", schrieb sie am 3. Februar 2011. [12] Gemeint war der Rückblick auf die Prognose für das Jahr 2010. 0,5 Prozent? In orwellscher Manier deutet sie ihre ursprüngliche Prognose "Für 2010 erwartet die GfK bei den Ausgaben der Privathaushalte eine Stagnation" [13] passgenau in 0,5 Prozent um. So kann natürlich jeder richtige Prognosen abgeben. Bloß, dass Prognosen üblicherweise im Voraus erstellt werden, nicht erst im Nachhinein.

2011 sollen es laut GfK also 1,5 Prozent werden. [14] Warten wir es ab. Leider fällt die Presse immer wieder auf die Falschmeldungen der GfK herein, die eklatante Kluft zwischen Prognose und Realität spielt bei der Berichterstattung offensichtlich überhaupt keine Rolle. Schnell wird dann aus der letztlich falschen Prognose ein "Konsumboom" oder eine "Stütze des Wachstums" zurechtgezimmert. Im medizinischen Bereich sollen Placebos ja helfen, doch nützen die auch im Bereich der Ökonomie? Das ist mehr als fraglich, denn die Menschen können bekanntlich nur das ausgeben, was sie haben.

Unpräzise geht es auch beim Grund des angeblichen Wachstums der privaten Konsumausgaben zu. Unter der Überschrift "Konsumklima trotzt Rezessionsangst - Bürger hoffen auf Lohnplus" schreibt die Nachrichtenagentur Reuters: "Im zweiten Quartal waren die realen Löhne binnen Jahresfrist im Schnitt um 1,9 Prozent gestiegen." [15] Alle Löhne? Nein, denn das Statistische Bundesamt meint damit nur die "preisbereinigten Bruttomonatsverdienste vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich". [16] Das geht freilich bei der Reuters-Meldung völlig unter. Und die GfK hält es (siehe ganz oben) ebenfalls für unnötig, diesbezüglich zur Differenzierung beizutragen.

Wie sich die Löhne im Bereich der zuletzt stark wachsenden atypisch Beschäftigten (befristet Beschäftigte, Teilzeitbeschäftigte, geringfügig Beschäftigte, Zeitarbeitnehmer/-innen) entwickeln [17], ist hingegen offen. Für die Konsumausgaben sind jedoch die realen Nettolöhne aller Arbeitnehmer entscheidend. Hohe Tarifabschlüsse, Tarifbindung überhaupt, gibt es nicht überall. Zudem ist Anfang 2011 der Arbeitnehmer-Beitragssatz für die Gesetzliche Krankenversicherung von 7,9 Prozent auf 8,2 Prozent gestiegen. [18] Dazu muss man, je nach Krankenkasse, die Zusatzbeiträge zählen. Auch der Arbeitnehmer-Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung ist am 1. Januar 2011 um 0,1 Prozentpunkte heraufgesetzt worden. [19] "Mehr Netto vom Brutto" erweist sich als substanzlose Worthülse, dies hat selbstverständlich Auswirkungen auf die zur Verfügung stehende Kaufkraft.

Kein Wunder, wenn die GfK angesichts der vollkommen unkritischen Berichterstattung immer wieder leichtes Spiel hat. Nachplappern ist eben für die Presse bequemer als aufwendiges Recherchieren.

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[1] GfK, Presemeldung vom 27.09.2011, Konsumklima in Deutschland trotzt den Rezessionsängsten
[2] Frankfurter Rundschau vom 28.09.2011
[3] Statistisches Bundesamt, VGR des Bundes - Verwendung des Bruttoinlandsprodukts, Tabelle 81000-0019, Konsumausgaben der priv. Haushalte, preisbereinigt, Stand: 03.10.2011
[4] GfK, Pressemitteilung vom 26.04.2007, PDF-Datei mit 45 kb
[5] Spiegel-Online vom 23.12.2007
[6] Spiegel-Online vom 22.12.2008
[7] GfK, Pressemeldung vom 03.02.2010
[8] Spiegel-Online vom 23.12.2007
[9] Wirtschaftsblatt vom 27.03.2008
[10] Finanzen.net vom 24.06.2008
[11] n-tv vom 25.09.2008
[12] GfK, Pressemeldung vom 03.02.2011
[13] GfK, Pressemeldung vom 03.02.2010
[14] GfK, Pressemeldung vom 03.02.2011
[15] Reuters vom 27.09.2011
[16] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 347 vom 21.09.2011
[17] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 270 vom 19.07.2011
[18] Wikipedia, Gesetzliche Krankenversicherung, Beitragssätze und Verteilung der Beitragslast
[19] Wikipedia, Arbeitslosenversicherung, Beitragssatz