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30. Dezember 2011, von Michael Schöfer
Der Casus Belli

Die Krise um das mutmaßliche Atomprogramm des Iran scheint immer mehr zu eskalieren. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) wirft zwar dem Iran in einem aktuellen Bericht vor, dass sich das Land auf dem Weg zur Atombombe befinde, kann aber für diese Behauptung keine harten Fakten präsentieren. Die Besorgnis der IAEO beruht lediglich auf bislang unbewiesenen Vermutungen. Zudem: 2008 hatte die IAEO der Regierung in Teheran noch bescheinigt, "sie habe den Verdacht ausgeräumt, mit ihrem Atomprogramm militärische Ziele zu verfolgen". [1] Was sollen wir also glauben? Ist an der Behauptung ein Fünkchen Wahrheit oder werden wir diesmal genauso angelogen wie anno 2003 vor dem Irak-Krieg? Schließlich haben auch die Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins nie existiert, gleichwohl diente die Lüge der Bush-Regierung als Kriegsgrund.

"Ein Bundesgericht in New York hat das Terrornetzwerk Al-Kaida, die Taliban und den Iran für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortlich gemacht", meldete die Frankfurter Rundschau vor kurzem. [2] Der Iran sei sogar Hauptverantwortlicher für die Anschläge vom 11. September 2001, soll ein Bundesbezirksrichter gesagt haben. Doch auch das hat man einst Saddam Hussein vorgeworfen: Er würde mit Al-Kaida oder mit der Al-Kaida nahestehenden Terrorgruppe Ansar al-Islam zusammenarbeiten, hieß es. Ebenfalls gelogen, wie sich nachträglich herausstellte. "Die Untersuchungskommission zu den Anschlägen des 11. September schrieb in ihrem Zwischenbericht vom Juni 2004, dass es keine 'glaubwürdigen Belege' dafür gegeben habe, dass die irakische Regierung unter Saddam Hussein mit dem Terrornetz Al-Qaida zusammengearbeitet habe. Die öffentlich verbreitete Regierungsposition führte aber dazu, dass im März 2004 57 % und im August 2004 50 % der US-Amerikaner glaubten, dass der Irak Al-Qaida wesentlich unterstützt habe." [3] Sollen wir jetzt in Bezug auf den Iran abermals nur zielgerichteten Propagandalügen aufsitzen, die den USA und Israel als Kriegsgrund dienen?

Wie auch immer, jedenfalls will der Westen den Iran mit Sanktionen zu einer Kursänderung bewegen. Das geht natürlich nur, wenn das illegale Atomprogramm wirklich existiert, denn der Iran kann logischerweise nur von etwas ablassen, das es vorher tatsächlich gab. Der Nachweis der Nichtexistenz ist bekanntlich äußerst schwer. Allerdings tut das blutrünstige Regime in Teheran alles, um in den Augen der Weltöffentlichkeit die Verdächtigungen zu bestätigen. Es agiert hier ähnlich ungeschickt wie seinerzeit Saddam Hussein. Und vielleicht ist ja an der Behauptung wirklich etwas dran. Der Iran heizt den Konflikt darüber hinaus noch an: "Kein Tropfen Öl werde mehr durch die Meerenge gelassen, falls der Westen die wegen des Atomstreits verhängten Sanktionen ausweite", erklärte Vizepräsident Mohammed Resa Rahimi. [4] Zuvor hatte Habibulah Sajari, der Befehlshaber der iranischen Marine, davon gesprochen, es sei eine Leichtigkeit, die Straße von Hormus zu blockieren, momentan gebe es dafür aber keine Notwendigkeit.


Durch dieses Nadelöhr muss ein beträchtlicher Teil der westlichen Ölversorgung:
Die Straße von Hormus
[Quelle: Wikipedia, Bild ist public domain]

Eine Blockade der Straße von Hormus, durch die laut der U.S. Energy Information Administration (EIA) fast 20 Prozent des weltweit gehandelten Erdöls geschleust wird [5], käme aus der Sicht der Amerikaner zweifellos dem Casus Belli gleich. Die USA haben bereits klar gemacht, dass sie die Blockade des wichtigen Nadelöhrs keinesfalls dulden werden. Der Iran reagierte wiederum mit der Ankündigung von Raketenmanövern (die iranischen Raketen können potentiell alle US-Stützpunkte in der Golf-Region und Afghanistan erreichen). Die Lunte brennt zwar noch nicht, ist aber zumindest gelegt, und das Streichholz flackert bereits. Gleichzeitig ist die weitere Aufrüstung der Region in vollem Gange: Deutschland soll Pressemeldungen zufolge Saudi-Arabien 270 Kampfpanzer des Typs Leopard II liefern, Washington liefert an Riad 84 F15-Kampfjets und modernisiert die Luftwaffe des Königreichs. Das Augenmerk der Weltöffentlichkeit ist derzeit auf die Straße von Hormus gerichtet, um die westliche Erdölversorgung zu treffen würde es freilich vollauf genügen, wenn der Iran die saudischen Erdölexporthäfen Ras Tanura und Dammam lahmlegen würde. Die dortigen Öl-Verlade-Terminals, Lagertanks und Raffinerien ließen sich durch gezielten Raketenbeschuss gewiss für längere Zeit ausschalten. Falls es also zu Kriegshandlungen kommt, nützt die Überlegenheit der 5. US-Flotte unter Umständen wenig. Wer mit dem Streichholz spielt, könnte folglich böse Überraschungen erleben. Dies gilt, wohlgemerkt, für beide Seiten.

Mein vor nahezu eineinhalb Jahren geäußerter Verdacht, Barack Obama werde die drohende Wahlniederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2012 notfalls durch einen militärischen Konflikt zu verhindern suchen (bekanntlich scharen sich die Amerikaner in Kriegszeiten hinter ihrem Präsidenten), war offenbar nicht aus der Luft gegriffen. [6] Der frühere Hoffnungsträger ist nämlich auf dem besten Weg, diesbezüglich den Fußstapfen George W. Bushs zu folgen. Und das iranische Regime scheint ihm dabei auch noch nach Kräften helfen zu wollen. Die Amtsübernahme Obamas habe ich ohnehin von Anfang an mit gesunder Skepsis begleitet und die seiner Person zugeschriebene messianische Bedeutung (die Obamania) nie geteilt. [7] Noch ein letzter Punkt, so paradox es klingen mag: Teheran könnte ein Interesse an der Wiederwahl Obamas haben, denn ein - womöglich irrationaler - Tea-Party-Republikaner als Chef im Oval Office wäre für das Regime bestimmt viel gefährlicher. Eine Verschärfung des Konflikts, ohne dass es zu einem Krieg kommt, könnte dem Iran also durchaus nutzen. Obama hätte nämlich die Gelegenheit, sich als starker Leader zu profilieren. Ob allerdings Ali Chamenei und Mahmud Ahmadinedschad in solchen Kategorien denken, ist fraglich. Derart ausgeklügelte Plots gibt es gemeinhin nur in Hollywood.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 10.11.2011
[2] Frankfurter Rundschau vom 27.12.2011
[3] Wikipedia, Begründung für den Irakkrieg, Zusammenarbeit Saddam Husseins mit Al-Qaida
[4] Stern-Online vom 30.12.2011
[5] U.S. Energy Information Administration (EIA), World Oil Transit Chokepoints
[6] siehe Dunkle Wolken vom 04.08.2010
[7] siehe Übermenschliche Erwartungen vom 07.11.2008