Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



17. Mai 2012, von Michael Schöfer
Katholikentag und Arbeit


Kirche und Arbeit ist traditionell ein heikles Thema. Aber "zum ersten Mal gibt es bei einem Katholikentag ein eigenes Zentrum 'Kirche – Wirtschaft und Arbeitswelt'", heißt es in der Ankündigung der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB). Die Katholiken behaupten, sie seien "Mitten im Leben", und das bedeutet wohl mehr als nur die Frage, ob Jesus heute Mitglied bei "Facebook" oder bei "Google+" wäre. Im Programm "Arbeit im Quadrat" [1] finden sich zwar Veranstaltungen, die sich mit der sozialen Frage beschäftigen, selbstverständlich überwiegend aus dem Blickwinkel der katholischen Soziallehre, ob sich die Katholiken dabei jedoch auch selbstkritisch mit ihrer eigenen Rolle als Arbeitgeber befassen, ist mehr als fraglich. Aber genau das wäre dringend angebracht, denn hier liegt bekanntlich einiges im Argen.

In den Kirchen gilt weder das Betriebsverfassungs- noch das Personalvertretungsgesetz, die katholische "Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung - MAVO -" [2] bleibt daher deutlich hinter dem staatlichen Recht zurück. Streitfälle zwischen Mitarbeitervertretung und Dienstherr werden nicht vor dem Arbeitsgericht bzw. vor dem Verwaltungsgericht - also unabhängigen Institutionen - ausgefochten, sondern vor dem Kirchlichen Arbeitsgericht. Mit anderen Worten: Die Kirche als Arbeitgeber fungiert in eigener Sache zugleich als Richter. Dies ist Ausfluss der im Grundgesetz garantierten Selbständigkeit der Kirchen, die Verfassungsväter haben nämlich in Artikel 140 Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung vom 11.08.1919 übernommen. Im Grunde ein anachronistischer Zustand, doch zeitigt dieser sogar noch heute entsprechend negative Konsequenzen für die Mitarbeiter der Kirchen.

"Von den katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird erwartet, daß sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten", heißt es in § 4 der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse" vom 01.01.1994. "Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben kirchenfeindliches Verhalten zu unterlassen. Sie dürfen in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden." [3]

Was das im Einzelfall bedeutet, ist heutzutage schier unglaublich: So hat etwa "das Bundesarbeitsgericht am 16. September 2004 die Kündigung eines katholischen Kirchenmusikers für wirksam erklärt, dessen Wiederverheiratung nach der Einstellung nachträglich bekannt wurde; der Abschluss einer nach Glaubensverständnis und Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe sei ein (...) schwerwiegender Loyalitätsverstoß." [4] Das Urteil wurde zwar später vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kassiert, belegt aber dennoch das eigentümliche Verhältnis der Kirche zu den Grundrechten ihrer Mitarbeiter.

Weitere Beispiele: "In Königswinter bei Bonn wurde kürzlich die Leiterin eines katholischen Kindergartens entlassen. Der Grund dafür: Sie hatte sich von ihrem Ehepartner getrennt und war anschließend bei einem neuen Mann eingezogen." [5] Offenkundiger Ehebruch also. "Ein Caritas-Krankenpfleger hatte im Internet unter Pseudonym über den Papst gelästert. Bei derartigen Beleidigungen darf fristlos entlassen werden, entschied jetzt ein Gericht." [6] Sein "Vergehen": Der Mitarbeiter hatte unter einem Pseudonym Artikel in einer Satire-Zeitschrift veröffentlicht und dabei den Papst angegriffen. Für Kirchenmitarbeiter sind eben nur die Gedanken frei, sie auch zu äußern sollte man sich tunlichst überlegen. Wenn ich daran denke, was ich als Landesbediensteter schon alles öffentlich über meinen höchsten Arbeitgeber geschrieben habe, wird mir ganz schwummrig im Bauch. Zum Glück bin ich noch im Vollbesitz meiner Grundrechte.

In Mannheim, genau dort, wo zur Zeit der Katholikentag stattfindet, hat die Caritas vor kurzem einen Sozialpädagogen entlassen, weil der als "Reaktion auf die bekanntgewordenen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen" aus der Kirche ausgetreten ist. [7] Zu Recht, befanden die Mannheimer Arbeitsrichter. "Das Gericht wies die Kündigungsschutzklage ab und verwies darauf, dass die Kirche und die ihr zugehörigen Einrichtungen als Tendenzbetriebe das Privileg innehätten, Arbeitsregelungen selbst zu treffen. Dazu gehöre auch der erhöhte Loyalitätsanspruch an Mitarbeiter." [8]

Zum Vergleich: Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst haben weder die Grundsätze der Regierungsparteien zu vertreten noch dort Mitglied zu werden respektive zu bleiben. Wäre ja noch schöner, wenn man als Arbeitnehmer plötzlich die Grundsätze der CDU anerkennen und vertreten müsste. Oder der SPD, falls es zu einem Machtwechsel kommt. (Wenngleich es immer wieder Mitarbeiter gibt, die wenig Probleme damit haben, ihr Fähnchen in den Wind zu hängen.) Auch die private Lebensführung geht den öffentlichen Arbeitgeber, solange sie im Rahmen der allgemeinen Gesetze bleibt, überhaupt nichts an. Moralische Maßstäbe haben im Arbeitsrechts nichts zu suchen. Doch bei den Kirchen gelten kurioserweise andere Vorschriften. Ob die Mitarbeiter der Kirchen streiken dürfen, ist ebenfalls umstritten. Von den Kirchen wird es ihnen nach wie vor verwehrt. Willkommen im 21. Jahrhundert. Einen kleinen Einblick in den Problemkreis "Kirche als Arbeitgeber" vermittelt LabourNet.

Über solche Dinge könnte sich der Mannheimer Kirchentag mal unterhalten, doch zumindest dem Programm lässt sich ein solches Vorhaben nicht entnehmen. Wäre ja auch zu schön, wenn die Katholiken einmal vor der eigenen Haustür kehren und ihre eigene Verhaltensweise infrage stellen würden. Es ist eben wesentlich leichter, andere für alles Übel in der Welt verantwortlich zu machen. Übrigens: "Wenn Jesus heute leben würde, hätte er sicherlich auch ein Facebook-Profil", sagt Pfarrer Dietmar Heeg, der am Palmsonntag zu einem Facebook-Gottesdienst einlud. Motto: "Der Heilige Geist weht auch im Internet." [9] Bei "Facebook", wohlgemerkt, nicht bei "Google+". Wenigstens das ist nun geklärt. Immerhin: Auf Facebook hätte es Jesus bestimmt auf mehr als bloß 12 Apostel (= Freunde) gebracht.

----------

[1] PDF-Datei mit 370 kb
[2] Diözesane Arbeitsgemeinschaft, PDF-Datei mit 135 kb
[3] Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg, PDF-Datei mit 44 kb
[4] Wikipedia, Arbeitsrecht der Kirchen, Kündigungsschutz bei Mitarbeitern der Kirchen und kirchlichen Einrichtungen
[5] Die Welt-Online vom 27.03.2012
[6] Spiegel-Online vom 31.10.2011
[7] Mannheimer Morgen vom 12.08.2011
[8] Geschäfts- und Pressebericht für das Arbeitsgericht Mannheim 2011
[9] Augsburger Allgemeine vom 31.03.2012