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31. August 2012, von Michael Schöfer
Die Sommerloch-Seuche


Wie in jedem Jahr ist auch diesmal wieder die Sommerloch-Seuche ausgebrochen. Diese rätselhafte Krankheit ereilt uns bekanntlich vor allem in der warmen Jahreszeit, wofür die Wissenschaft bislang aber noch keine befriedigende Antwort gefunden hat. Charakteristisch für die Sommerloch-Seuche ist die Flucht zahlreicher Menschen an die sonnigen Strände Spaniens, Griechenlands oder der Türkei. Angeblich, so lautet zumindest eine vielbeachtete These, sind die heißen Gefilde der Mittelmeeranrainer der Ausbreitung des Sommerloch-Erregers abträglich. Badewasserwarmes Salzwasser hemme in Verbindung mit dem in Hotelanlagen üblichen Müßiggang das Infektionsrisiko enorm. Ganz im Gegensatz zur Schulden-Seuche, die sich neuerdings gerade in Südeuropa rasant ausbreitet und dort offenbar ideale Bedingungen vorzufinden scheint.

Bedauerlicherweise sind insbesondere daheimgebliebene Politiker von den Auswirkungen der Sommerloch-Seuche betroffen. Dabei kommen die kuriosesten Vorschläge zum Vorschein (die Sommerloch-Erreger beeinträchtigen offenkundig bestimmte Regionen des zentralen Nervensystems). Eine typische Sommerloch-Idee, heißt es, sei etwa der Vorschlag von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, allen Gemeinden ihre früheren Auto-Kennzeichen zurückzugeben. Die von ihm geforderte Pkw-Maut sei hingegen lediglich eine Schnapsidee und werde von Ramsauer auch in den kalten Wintermonaten vertreten.

Keiner ist vorm Sommerloch sicher, nicht einmal renommierte Qualitätszeitungen: Seit Tagen wurde zum Beispiel in den Feuilletons über den Mord an FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher spekuliert. Ein ehemaliger Kollege, der heute für die Konkurrenz arbeitet, habe die Tat in einem Schweden-Krimi detailliert geschildert. Jetzt stellt sich heraus: Das vermeintliche Opfer war bloß in Urlaub. Ob am Mittelmeer, ist nicht überliefert.

In Kärnten sucht man schon zwei Wochen lang fieberhaft nach einem Krokodil, das Kinder am Ufer der Drau, einem Nebenfluss der Donau, gesichtet haben wollen. Krokodile sind in den Alpen normalerweise äußerst selten anzutreffen. Nachdem die Suche mit Wildkameras und Feldstechern keinen Beweis erbrachte sowie ausgelegte Hühnerfleisch-Köder unangetastet blieben, sollen nun Hubschrauber und Wärmebildkameras zum Einsatz kommen. In den sonst mit Korruptionsskandalen, der Euro-Krise oder attraktiven Besucherinnen des Wiener Opernballs befassten Zeitungsredaktionen herrscht Hochbetrieb, halb Österreich ist mittlerweile zu Großwildjägern mutiert. Hoffentlich stellt sich am Ende nicht heraus, dass das Krokodil ebenfalls in Urlaub weilt und man sich die aufwendige Suche hätte sparen können. Wahrscheinlich ist das Ganze ohnehin nur eine geschickt getarnte Katastrophenschutzübung.

Sommerlöcher findet man mittlerweile überall, in Arizona bekam ein besonders großes (mit einem Durchmesser von 1200 Metern) sogar einen Namen. "Barringer" nennt man es dort. Selbst auf dem Mond sind Sommerlöcher zu finden, die auf unserem Trabanten heißen allerdings "Krater". Sie haben aber, wie die NASA kürzlich versicherte, nichts mit dem Tod von Neil Armstrong (dem ersten Mann auf dem Mond) zu tun. Doch so weite Reisen sind gar nicht notwendig, denn Sommerlöcher findet man inzwischen auch im Schwabenland. Ich habe eines inspiziert, darin aber trotz intensiver Suche keine Lösung für die Euro-Krise gefunden, die muss sich folglich ganz woanders befinden. Manche befürchten, die Rettung des Euro werde sich noch als sündhaft teures Sommerloch entpuppen. Es soll unbestätigten Meldungen zufolge bereits mehrfach in der Frankfurter Zentrale der Deutschen Bundesbank gesichtet worden sein. Bundesbankpräsident Jens Weidmann würde dort gerne EZB-Chef Mario Draghi mitsamt dessen Bazooka-Plänen (Ankauf von Staatsanleihen) versinken lassen.

Das Luftbild (siehe unten, großes Bild in der Mitte) stammt freilich vom Sommerloch in Köln, in dem 2009 das Stadtarchiv versank. Es wird gerade notdürftig repariert. Berichte, wonach der für das Kölner Sommerloch verantwortliche Architekt heute in Stuttgart beschäftigt sei, wird von der Deutschen Bahn, der Bauherrin von "Stuttgart 21", vehement dementiert. Schwäbische Sommerlöcher wären, getreu dem Motto "Wir können alles. Außer Hochdeutsch.", hundertprozentige Eigengewächse und würden ohne jeglichen Fremdeinfluss produziert. Beobachter der Stuttgarter Szene sehen nämlich unter dem Schlossgarten ein riesiges Sommerloch schlummern, immerhin habe es bereits die schwarz-gelbe Landesregierung verschluckt, warnen sie.

Verschwörungstheoretiker behaupten wiederum, das Kärntner Krokodil sei in Wahrheit Mappus-Schnappus gewesen, der in der Drau eine brisante Computer-Festplatte versenkt habe. Dazu passe: Auf dem Weg von Pforzheim, dem Wohnort von Stefan Mappus, nach Kärnten muss man unweigerlich durch Bayern. Und dort ist vor kurzem ein besonders bizarres Sommerloch aufgetaucht: CSU-Veteran Wilfried Scharnagl fordert die Abspaltung Bayerns von Deutschland. Der ehemalige Chefredakteur des Bayernkuriers habe sich, so wird angenommen, in München mit dem durchreisenden Mappus getroffen und sei dabei von der Sommerloch-Seuche infiziert worden. Potzblitz, dieser Behauptung ist durchaus eine gewisse Plausibilität zuzubilligen.

Ich sei ebenfalls von der Sommerloch-Seuche befallen, dieser Artikel wäre dafür der beste Beweis, glauben einige. Nun ja, was soll ich dazu sagen? Ich höre jetzt am besten auf und bin dann mal weg. Wo? Im Sommerloch natürlich.


Ein Sommerloch von unten aus betrachtet.
Charakteristisch: der wolkenlose Himmel. [1]


Das Barringer-Sommerloch in Arizona. Man kann
es sogar gegen Eintrittsgeld besichtigen. [2]

 

Das notdürftig reparierte Sommerloch, in dem das Kölner Stadtarchiv versank. [3]


Große und kleine Sommerlöcher auf dem Mond.
Ob es auf dessen Rückseite ebenfalls Sommer-
löcher gibt, wird zur Zeit noch erforscht. [4]


Sommerloch auf der Schwäbischen Alb. Trotz inten-
siver Suche hat es bislang noch keine Lösung
für die Euro-Krise preisgegeben. [5]

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[1] Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.5-Lizenz, Urheber: Thesupermat
[2]
Wikimedia Commons, CC BY 3.0-Lizenz, Urheber: Shane.torgerson
[3] Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0-Lizenz, Urheber: Neuwieser
[4] Wikimedia Commons, Bild ist public domain, Urheber: NASA
[5] Wikimedia Commons, Bild ist public domain, Urheber: Immanuel Giel