Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



24. Dezember 2012, von Michael Schöfer
Rührselige Bibel-Geschichten auf Schmonzettenniveau


Es ist wieder Weihnachten. Und wie in jedem Jahr bekommen wir jede Menge rührseliger Bibel-Geschichten auf Schmonzettenniveau vorgesetzt. Das Ganze nüchtern zu sehen, vermögen nicht einmal renommierte Tageszeitungen. So beglückt uns die Süddeutsche [1] mit einer nachdenklich wirkend sollenden Story über Josef von Nazareth, dem Mann von Maria. Die Kunst habe Josef über Jahrhunderte hinweg schlecht behandelt, beklagt Matthias Drobinski. "Das Kind in der Krippe ist ja nicht von ihm. Das Kind ist der christlichen Überlieferung zufolge vom Heiligen Geist, das muss auch dem letzten Analphabeten klar sein. Je älter also Josef erscheint und je jünger Maria, je näher er der Impotenz ist und sie dem Kindesalter, umso deutlicher wird dem Betrachter: Da kann nichts gelaufen sein. Die koptische 'Historia Josephi' aus dem 4. Jahrhundert lässt Josef 90 Jahre alt sein, als er die zwölfjährige Maria zu sich nimmt." Damit habe man Josef unrecht getan, obwohl er Verantwortung für ein Kind übernahm, das nicht von ihm gewesen sei. Man müsse Josef vielmehr als Vorbild für den modernen Mann betrachten: "Er hat sich - gegen die Männerwelt, die den Samen heiligte - entschieden, bei Maria zu bleiben, das Wagnis der Patchworkfamilie einzugehen, die Migrations- und Asylgeschichte eingeschlossen." So kann man die Weihnachtsgeschichte natürlich auch interpretieren, andernfalls müsste uns Josef obendrein, an heutigen Maßstäben gemessen, als Kinderschänder erscheinen.

Leider lässt Drobinski, wie so viele, wenn es um Religion geht, den guten alten Journalistengrundsatz außer Acht: "Eine Quelle allein ergibt keine Nachricht. Für eine Nachricht braucht es mindestens zwei voneinander unabhängige Quellen." Wie ist nun vor diesem Hintergrund mit Jesus im Allgemeinen und Josef im Besonderen umzugehen? Nüchterne Feststellung: Es gibt nur eine einzige Quelle - das Neue Testament. Und die ist in sich sogar noch widersprüchlich. Zirkelschlüsse der Marke "Die Bibel hat recht, das steht in der Bibel" wären dem Pressekodex zufolge absolut unzulässig. Mit Recht. "Die Faktenlage ist dünn", gibt Drobinski kleinlaut zu. Aber mehr Distanz aufzubauen gelingt ihm nicht. Dünn ist allerdings beschönigend, denn im Grunde gibt es gar keine Fakten.

Nach heutiger Auffassung sind die Evangelien des Neuen Testaments im Zeitraum zwischen 70 und 100 nach dem Beginn unserer Zeitrechnung niedergeschrieben worden. Keine Zeitzeugenberichte also, lediglich Geschichten vom Hörensagen. Frühere schriftliche Überlieferungen sind uns bis dato unbekannt. Außerdem hat vermutlich ein Evangelist vom anderen abgeschrieben und dabei die Story ein bisschen umformuliert bzw. weiter ausgeschmückt. Guttenbergs gab es also schon vor 2000 Jahren. Den Autoren sind zudem ein paar gravierende Fehler unterlaufen. Ein Beispiel: In Matthäus 13,55 ist Jesus der "Sohn des Zimmermanns", in Johannes 1,45 der "Sohn Josefs". Freilich fußt doch der Glaube gerade darauf, dass Josef keinesfalls der leibliche Vater von Jesus ist. Jesus wird uns nämlich als Sohn Gottes präsentiert, alles andere ist schließlich aus Christensicht völlig sinnlos, deshalb auch das ganze Brimborium um das Dogma der Jungfrauengeburt. Soll man den Autoren in solch zentralen Aussagen Flüchtigkeitsfehler bzw. Schludrigkeit unterstellen? Nach Auffassung der Kirche ist das Neue Testament "unter dem Beistand des Heiligen Geistes abgefasst worden". Ohne religiöse Gefühle verletzen zu wollen, der Heilige Geist muss bei diesem Beistand ziemlich verwirrt gewesen sein.

Gerne wird deshalb in Christenkreisen auf den Historiker Flavius Josephus verwiesen. Doch Flavius Josephus ist im Jahre 37 oder 38 geboren, da war Jesus, sofern es ihn wirklich gab, bereits tot. Josephus kann folglich ebenfalls kein Zeitzeuge gewesen sein und hat die vermeintlichen Geschehnisse bestenfalls aus zweiter oder dritter Hand erfahren. Das Testimonium Flavianum, in dem Jesus angeblich namentlich erwähnt wird (es existieren unterschiedliche Versionen, über deren Echtheit man streitet), ist erst 93 nach dem Beginn unserer Zeitrechnung veröffentlicht worden. Glaubt man der christlichen Legende, wurde Jesus 30 oder 31 hingerichtet - also gut 60 Jahre und mindestens zwei Generationen vor Josephus' Bericht. Über Josef, Jesus' Vater, schweigt sich Josephus dagegen aus.

Drobinski unterstellt, die Jungfrauengeburt sei wahr. Muss er auch, denn das gehört - wie bereits oben erwähnt - zu den zentralen Aussagen des christlichen Glaubens. Jesus ist der Sohn Gottes, Josef hat mit dessen Zeugung konsequenterweise überhaupt nichts zu tun. Für wie wahrscheinlich wir das halten dürfen, darüber soll sich jeder seine eigene Meinung bilden. Ich für meinen Teil halte die Jungfrauengeburt für ziemlich unwahrscheinlich. Drobinski weiter: Als Josef "bemerkt, dass Maria schwanger ist, will er sie heimlich verlassen, weil er großmütig ist und sie nicht öffentlich verstoßen, gar der Steinigung ausliefern will. Ein Engel erscheint ihm im Traum und klärt die Sache auf, später kommt noch einmal einer und befiehlt ihm, nach Ägypten zu gehen und Jesus vor dem kindermordenden Herodes zu retten - und Josef gehorcht." Das einzig historisch überprüfbare Faktum ist der angeblich kindermordende Herodes, dieser soll laut Bibel "in Betlehem und der ganzen Umgebung" die Ermordung aller Knaben bis zum Alter von zwei Jahren befohlen haben (Matthäus 2,16). Doch dafür gibt es keinerlei historische Belege. Man darf annehmen, dass eine so ungeheuerliche Anordnung von den zeitgenössischen Historikern wohl kaum ignoriert worden ist. Aber: Fehlanzeige. Der Kindermord findet sich ausschließlich im Neuen Testament.

Weihnachten ist das Fest der Liebe, wird immer behauptet. Ich sage: Es ist - neben dem üblichen Konsumterror - ein Fest der Rührseligkeit. Einfältiger Kinderglaube wird verbreitet. Bedauerlicherweise kann man dem kaum entgehen, überall klingen Glocken und leuchten Sterne oder Kerzen. Dass sich davon auch Journalisten beeinflussen lassen und dabei sogar die journalistischen Grundsätze vergessen, ist allerdings erstaunlich. Ist das noch Qualitätsjournalismus oder einfach nur Verlegenheit, weil ihnen am 24. Dezember partout nichts Gescheites einfällt? Nun gut, zum Glück werden wir selbst das überleben, der Weltuntergang vor drei Tagen hat uns ja ebenfalls nicht kleingekriegt.

----------

[1] Ausgabe vom 24.12.2012