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26. März 2013, von Michael Schöfer
Alle klagen übers Wetter


"Das Wetter nervt nur noch", meint der Schwarzwälder Bote. Die Süddeutsche spricht von "Väterchen Frust" und BILD stellt gewohnt dramatisch die Frage: "Ostern kälter als Weihnachten?" Mit dem kalten Wetter geht überdies eine Grippewelle einher, die die Patienten massenhaft in die Wartezimmer der Ärzte strömen lässt. Die seien so voll wie seit acht Jahren nicht mehr, liest man. "Minusgrade und Grippe - Der Endlos-Winter kostet Milliarden", bringt die WAZ-Mediengruppe das Ganze auf den ökonomischen Nenner. Die Grippeviren haben - warum auch immer - den Autor dieser Zeilen ebenfalls nicht verschonen wollen, heuer sind sie sogar besonders hartnäckig, dabei bin ich bei solchen Erkrankungen genetisch bedingt schwer im Nachteil.

Meine Vorfahren stammen nämlich aus Afrika, zumindest haben sie nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen dort vor mindestens 92.000 Jahren gelebt, und die Herkunft steckt eben nach wie vor in meinen Genen. Der Homo sapiens ist unbestritten ein tropisches Wesen, das belegt schon allein die Notwendigkeit, sich hierzulande bei H&M, C&A oder dem Herrenausstatter um die Ecke mit wärmender Kleidung einzudecken. Alles unter 24 Grad gilt bei mir als kalt, erst ab dieser Marke erreicht mein Körper die Wohlfühltemperatur. Celsius, nicht Fahrenheit, versteht sich. Insofern habe ich allen Grund, ins Lamento über die sibirische Kälte einzustimmen. Anders als viele Zeitgenossen kann ich dabei aber nichts Besonderes entdecken.

Wie sich tropische Wesen überhaupt einst in derart kühlen Breiten haben niederlassen können, war mir schon von jeher ein Rätsel. Vor allem, weil es vor 92.000 Jahren weder Herrenausstatter noch Zentralheizungen gab. Aber das waren Entscheidungen, die sich naturgemäß meiner Einflussnahme entzogen. Wäre es nach mir gegangen, würden wir uns jetzt in Afrika gemütlich in der Hängematte räkeln und Bananen mampfen. Doch das hat irgendein Urahne von mir heimtückisch vereitelt: "Schauen wir doch mal kurz im kühlen Europa vorbei", hat er womöglich gesagt, "vielleicht gibt es da interessante Dinge zu entdecken". Afrikaner haben sich seinerzeit offenbar furchtbar gelangweilt. Das haben wir nun davon: Wir bibbern monatelang, werfen das Geld zum Kamin hinaus und müssen Bananen obendrein importieren. Wenn unsere Vorfahren das geahnt hätten...

Zurück in die jüngste Vergangenheit: Am 31. Mai 2006 erreichte die Höchsttemperatur in Mannheim laut Wettertabelle sagenhafte 14,5 Grad Celsius. Ende Mai, wohlgemerkt! Das Jahr 2006 galt bis dahin als ziemlich kühl, der Winter schien - so wie in diesem Jahr - endlos zu dauern. Weit und breit keinerlei Frühlingsgefühle. Liebe Leserinnen und Leser, Sie werden sich hoffentlich daran erinnern: Es war das Jahr der Fußballweltmeisterschaft. Austragungsort: das vor Kälte zitternde Deutschland. Man prophezeite bereits, dass die Brasilianer bei solch widrigen Wetterverhältnissen keinen Blumentopf gewinnen würden. Die Argentinier mussten eine Woche vor Beginn des Turniers in Winterjacken trainieren, die Paraguayer verzweifelten beinahe angesichts des nasskalten Wetters. Entgegen dem ersten Eindruck, den man aus diesen Worten gewinnen mag, ist Fußball mitnichten eine tropische Sportart, sondern wurde bekanntlich im regnerischen England erfunden. Schlammschlachten gibt es seitdem nicht nur in der Politik, sondern im wahrsten Sinne des Wortes auch auf dem Bolzplatz.

Im Juni stieg die Höchsttemperatur in Mannheim nachweislich erstmals am siebten Tag nach Monatsbeginn über die 20-Grad-Marke - zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel Deutschland-Costa Rica. Und man glaubt es kaum: Das Jahr 2006 ging trotz der langen Kälteperiode wundersamerweise als "Sommermärchen" in die Geschichte ein. Rückblickend gesehen hat man lediglich Fußball, Sonne pur und die überbordende Begeisterung der Fans in Erinnerung. Was lernen wir daraus? Man sollte die Hoffnung auf ein bisschen Wärme nie aufgeben, es besteht folglich kein Grund zu verzweifeln. Denn selbst Sommermärchen beginnen zuweilen mit lästigem Schmuddelwetter.