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23. September 2013, von Michael Schöfer
Dass ich diesen Tag noch erleben durfte


Der "Dame ohne Unterleib", so wurde die FDP einst wegen ihrer notorischen Schwäche in den Landtagen genannt, hat man schon oft den Untergang prophezeit. An entsprechender Häme der Kommentatoren hat es nie gemangelt, aber die Liberalen haben sich stets auf wundersame Weise kurz vor dem totalen Absturz ans sichere Ufer zu retten gewusst. Ende Dezember beispielsweise hat der Autor dieser Zeilen in Erwartung eines Debakels bei der Landtagswahl in Niedersachsen Kübel voller Hohn und Spott über Parteichef Philipp Rösler ausgegossen. [1] Tja, das Leben von Politikern ist eben hart. Und was macht der längst Totgesagte? Hievt seine Mannen unerwarteterweise mit unglaublichen 9,9 Prozent deutlich über die 5-Prozent-Hürde. Der Gelackmeierte war wider Erwarten nicht Philipp Rösler, der Gelackmeierte war ich. Das tat weh. Sogar verdammt weh. Philipp Rösler jubeln zu sehen ist zweifellos Folter pur.

Aus dieser Erfahrung heraus habe ich im Vorfeld der Bundestagswahl auf übertriebene Häme gegenüber der FDP ganz verzichtet. Oh, nicht wegen Rösler oder weil ich abergläubisch wäre. Nein, wegen mir, weil ich einer ähnlichen Pleite wie damals aus dem Weg gehen wollte. Im Grunde habe ich damit gerechnet, dass die Liberalen mit ihrer dumm-dreisten Zweitstimmenkampagne (Rainer Brüderle: "Geben Sie der FDP wenigstens Ihre Zweitstimme") erfolgreich sind und am Wahlabend zumindest eine Fünf vor dem Komma haben werden. Doch was macht die Partei der Besserverdiener? Sie stirbt den plötzlichen Herztod. Häme reicht jetzt gar nicht mehr aus, um meine Freude auszudrücken. In tiefer Dankbarkeit, dass ich diesen Tag noch erleben durfte, könnte ich glatt das ganze Wahlvolk umarmen (ausgenommen natürlich die übrig gebliebenen 2.082.305 Wähler der Liberalen): 4,8 Prozent für die FDP! Wow! Das ist wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Freude, schöner Götterfunken...

Mitleid? Nö, Mitleid habe ich keines. Die hatte die Partei der hartherzigen Mindestlohnverhinderer nämlich ebenso wenig. Es ist mir vollkommen gleichgültig, ob sie sich nun zur Splitterpartei zurückentwickelt. Je kleiner, desto besser. Schade ist es bloß um die Reste der liberalen Bürgerrechtler, für die Gerhart Baum und Burkhard Hirsch standen. Aber diese Strömung war in der FDP kaum noch spürbar und stand ohnehin kurz vor dem Aus.

Wie geht es meiner Meinung nach weiter? Die Union, obgleich hart an der absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt, braucht unbedingt einen Koalitionspartner. Schwarz-Grün kann man wohl ausschließen, das würden die Grünen kaum überleben. Es läuft also alles auf eine Große Koalition hinaus. Dass die Sozialdemokraten eine Koalition mit den Grünen und der Linkspartei eingehen, ist nicht zu erwarten. Paradox (sofern man die SPD überhaupt noch links verortet): Es gibt im Parlament eine linke Mehrheit, aber regieren wird voraussichtlich eine konservative Kanzlerin. Doch das Risiko für die SPD, bei der nächsten Wahl unter die 20-Prozent-Marke zu rutschen, wäre enorm. Es sei denn, Rot-Rot-Grün entpuppt sich als Erfolgsgeschichte... In vier Jahren könnte es beim Wahlvolk durchaus zu einem Meinungsumschwung kommen. Dennoch, allzu viel Chancen darf man dieser Überlegung nicht einräumen. Eine Minderheitsregierung nach Artikel 63 Absatz 4 Grundgesetz könnte zu sofortigen Neuwahlen führen. Das werden sich weder SPD noch Grüne antun, sie hätten dabei wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren. Dann könnte Merkel die absolute Mehrheit knacken und/oder die FDP flugs in den Bundestag zurückkehren.

Die Sozialdemokraten werden zwar danach trachten, sich so teuer wie möglich zu verkaufen, aber am Ende spielen sie bestimmt den Steigbügelhalter für Angela Merkel. Alles andere würde überraschen. Wenigstens die FDP ist zunächst für vier Jahre draußen. Und falls es gut läuft, bleibt sie dort. Das ist bei diesem Wahlergebnis der einzige Grund zum Feiern.

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[1] siehe Vielen Dank, Herr Rösler vom 27.12.2012