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23. November 2013, von Michael Schöfer
Was spricht eigentlich, außer Merkel und Seehofer, dagegen?


Vor langer Zeit habe ich mir etwas geschworen: Mir möge die Hand abfaulen, sollte ich mit ihr jemals mein Kreuz bei der CDU machen. Und was soll ich Ihnen sagen - sie ist noch dran. Alle beide, wohlgemerkt. Politisch betrachtet ist das freilich ausgesprochen dumm, denn man weiß ja nie (in der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen). Die Ausschließeritis hat schon ganz andere gehörig in die Bredouille gebracht, Andrea Ypsilanti zum Beispiel. Wie gerne hätte sie 2008 Roland Koch abgelöst, dem in diesem Drama die Schurkenrolle zugedacht war. Tja, ging leider schief, denn Ypsilanti hatte im Wahlkampf versprochen, weder mit den Linken zu koalieren noch sich von ihnen tolerieren zu lassen. Und mit Koch wollte sie nicht. Als sie dann wortbrüchig wurde, war es dahin mit ihrer Reputation. Das ist vermutlich noch viel schlimmer, als wenn einem tatsächlich die Hand abfault.

Mit der Reputation hatte Roland Koch noch nie Probleme, die Schurkenrolle war ihm nämlich wie auf den Leib geschnitten. Diesbezüglich unbestritten ein Naturtalent. In ganz Hessen - ach, was sage ich, bundesweit - fand sich keine bessere Besetzung. Erinnern Sie sich noch an die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft? Dadurch kam Koch 1999 überhaupt erst an die Macht. "Kritiker warfen der Union vor, rassistische Ressentiments zu schüren und für den Wahlkampf zu instrumentalisieren", steht bei Wikipedia. [1] Genau so war es. Roland Koch benötigte keine fossilen Energieträger, um seine Gegner zur Weißglut zu treiben, das machte er ganz von alleine. Nun denn, Schnee von gestern. Heute leitet Koch den Baukonzern Bilfinger. In Mannheim, ganz in meiner Nähe, zu Fuß höchstens fünf Minuten entfernt. Bitte verraten Sie es nicht weiter.

Kochs Kumpel, Volker Bouffier, wurde 1999 hessischer Innenminister. Nebenjob: Linkenfresser. Spitzname: "Schwarzer Sheriff". Das, was man, salopp formuliert, einen "harten Hund" nennt. Und mit dem will jetzt ausgerechnet der Grüne Tarek Al-Wazir koalieren, der - ein Treppenwitz der Geschichte - die deutsche UND die jemenitische Staatsbürgerschaft besitzt. Unterschriftenliste trifft Doppelpass, könnte man schelmisch behaupten. Alle Achtung! Ich will gar nicht wissen, was dem Tarek Al-Wazir alles abfaulen müsste, sollte es in Wiesbaden wirklich zu einer schwarz-grünen Koalition kommen. Bislang waren CDU und Grüne dort gewissermaßen wie Feuer und Wasser, doch demnächst sitzen sie womöglich gemeinsam auf der Regierungsbank. Man stelle sich vor: Der Grüne wird Innenminister und kann dann endlich seine eigene Akte lesen. Welch ein Erkenntnisgewinn.

Okay, man soll nicht ungerecht sein, die Ausschließeritis war zugegebenermaßen schon von jeher ziemlich doof. Wie früher im Kindergarten: "Nee, mit dem spiele ich nicht." Gilt natürlich auch für Schwarz-Grün. Allerdings erleben wir momentan in Deutschland ein politisches Kuriosum: Obgleich es im Bund und in Hessen eine Mehrheit links von der Union gibt (Rot-Rot-Grün), kommt es wahrscheinlich in Berlin zu einer schwarz-roten und in Hessen zu einer schwarz-grünen Koalition. Ob die drei Parteien mit wechselnden Mehrheiten nicht mehr von ihrer Programmatik durchbekämen, als in einer Koalition mit den Schwarzen? Insbesondere die SPD scheint panische Angst vor einer Minderheitsregierung zu haben. Rein rechnerisch könnten Sigmar Gabriel Bundeskanzler und Thorsten Schäfer-Gümbel Ministerpräsident werden, stattdessen bleiben wohl Angela Merkel und Volker Bouffier weiterhin Regierungschef(in). Dem steht paradoxerweise jeweils eine parlamentarische Mehrheit von Rot-Rot-Grün gegenüber (Bund: Union 311 Mandate, Rot-Rot-Grün 320 Mandate; Hessen: Schwarz-Gelb 53 Mandate, Rot-Rot-Grün 57 Mandate). Irgendetwas muss ich in der Schule falsch verstanden haben, denn dort sprach man im Gemeinschaftskundeunterricht immer von "Mehrheit ist Mehrheit". Offenbar war bei meinen Lehrern längst etwas abgefault, wir haben das damals bloß nicht bemerkt. Wer kann schon in die Köpfe hineinsehen? Niemand.

Ob sich die SPD klug verhält, wenn sie mit der Union mühsam über einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro streitet, den sie mit der Linken und den Grünen locker selbst beschließen könnte? Erhöhung des Spitzensteuersatzes? Kein Problem (bloß mit Merkel und Seehofer). Abschaffung des Betreuungsgeldes? Ginge ratzfatz (nur nicht mit Merkel und Seehofer). Bürgerversicherung? Was spricht eigentlich, außer Merkel und Seehofer, dagegen? Ob sich die Grünen in Hessen klug verhalten, wenn sie mit den hartnäckigsten Befürwortern des Flughafenausbaus koalieren? Das lässt sich vor der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags nicht sagen, die interessierte Öffentlichkeit wird dieses Ereignis mit großer Spannung erwarten. Die Insider wissen: Falls Sigmar Gabriel oder Tarek Al-Wazir anschließend mit einem Verband auf der Regierungsbank sitzen, ist denen bei der Unterzeichnung des Abkommens bestimmt etwas abgefault. Tja, das haben sie nun davon...

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[1] Wikipedia, CDU/CSU-Unterschriftenaktion gegen die Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts