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15. April 2014, von Michael Schöfer
Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln


Vor Jahren gab es scheinbar gute Gründe, das neunjährige Gymnasium (G9) durch das achtjährige (G8) zu ersetzen: Die Schüler könnten ein Jahr früher ins Berufsleben einsteigen bzw. auf die Uni gehen, dadurch würde sich die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verbessern, hieß es. Und da man den Studenten nachsagte, auf der Uni viel zu viel Zeit zu verplempern, hat man auch das Studium gestrafft. Im sogenannten Bologna-Prozess wurden die Studiengänge europaweit harmonisiert. Stichworte: Bachelor und Master. Alles mit dem Ziel, die Ausbildungszeiten wesentlich effizienter zu nutzen.

Was man dabei allerdings übersehen hat, war der menschliche Faktor. So beklagen sich die Schüler des G8 über viel zu viel Stress. Kein Wunder, müssen sie doch in acht Jahren das lernen, wozu sie vorher neun Jahre Zeit hatten. In manchen Bundesländern wird deshalb wieder das neunjährige Gymnasium eingeführt oder dem achtjährigen wenigstens als Wahlmöglichkeit zur Seite gestellt. Kritiker des Bologna-Prozesses wiederum monieren die zunehmende Verschulung der Hochschulbildung, die auf Kosten individueller akademischer Freiheit und Ausreifung gehe. Die Grundlagenforschung werde vernachlässigt und die Lehre hauptsächlich den Bedürfnissen des Marktes angepasst, der angestrebte Effizienzgewinn verkehre sich so ins Gegenteil. Scheuklappendenken, nennen das manche.

Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln! Nachdem man seit Jahren beklagt hat, es gebe hierzulande im Vergleich zu anderen Nationen zu wenig Hochschulabsolventen, wird jetzt plötzlich die Parole "Gesellenbrief statt Doktortitel" verbreitet. Deutschland brauche weniger Master, dafür mehr Meister. "Nicht jeder muss studieren", meint Julian Nida-Rümelin. "Der Akademisierungswahn werte die berufliche Qualifizierung ab und schade dem Dualen Ausbildungssystem, sagte der einstige Kulturstaatsminister unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD)." [1] Mit anderen Worten: Deutschland benötige wieder mehr Malocher.

Dabei hat man dem Nachwuchs die Akademikerlaufbahn lange Zeit mit den glänzenden Verdienstaussichten schmackhaft gemacht. Nach einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erwirtschaften Ungelernte "in ihrem gesamten Erwerbsleben gut eine Million Euro. Wer hingegen eine Berufsausbildung vorweisen kann, verdient im Schnitt 1,3 Millionen Euro. Menschen, die nach dem Abitur in das Berufsleben starten, verdienten den Berechnungen der Forscher nach immerhin 1,6 Millionen Euro, Fachhochschulabsolventen brächten es auf rund 2,0 Millionen Euro und Männer und Frauen mit einem Uni-Abschluss brächten es sogar auf 2,3 Millionen Euro." [2]

Es liegt wohl kaum an der bevorstehenden Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, wenn nun wieder die grundsolide Berufsausbildung empfohlen und dem Schlagwort vom "Facharbeitermangel" der Kampfbegriff "Akademisierungswahn" zur Seite gestellt wird. Woran sollen sich junge Menschen überhaupt noch orientieren? Wird die nachwachsende Generation in puncto Ausbildung und Berufslaufbahn lediglich mit temporären Modeerscheinungen gequält, der eitlen Selbstdarstellung weltfremder Bildungsideologen? Modeerscheinungen, die sich freilich auf das ganze spätere Leben auswirken - im Positiven wie im Negativen, denn was heute in ist, kann morgen schon wieder out sein. Gestern G8, heute G9, anschließend erneut G8. Heute Bachelor und Master, morgen zurück zum guten alten Diplom? Es ist zum Haare ausraufen.

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[1] taz vom 15.04.2014
[2] Die Zeit-Online vom 23.01.2014