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04. Juli 2014, von Michael Schöfer
NachDenkSeiten wandeln auf gefährlichen Pfaden


Ich habe die NachDenkSeiten aus meiner Link-Liste entfernt. Das wird die vermutlich nicht weiter stören. Frei nach dem Motto: "Was juckt es die stolze Eiche, wenn sich der Eber an ihr reibt?" Mit monatlich rund 5.000 Besuchern, davon sicherlich viele Webcrawler, kann ich meine bescheidene Website selbstverständlich nicht einmal annähernd mit den NachDenkSeiten vergleichen, die nach eigenen Angaben täglich auf etwas über 50.000 Besucher kommen. [1] Zudem halte ich die NachDenkSeiten, was die Präsentation ökonomischer Alternativen jenseits des Mainstreams angeht, für wertvoll. Ich will hier trotzdem erläutern, weshalb ich die NachDenkSeiten künftig nicht mehr in meiner Link-Liste führe. Es geht um Grundsätzliches.

Roberto J. De Lapuente, der das Weblog "Ad Sinistram" betreibt, war Mitte 2012 auf Steffen Seibert nicht allzu gut zu sprechen. Lapuente plädierte dafür, "Steffen Seibert kein öffentlich-rechtliches Engagement mehr zu gewähren". Er habe sich bereits mit seiner Entscheidung, Regierungssprecher zu werden, diskreditiert. Seibert habe "allerlei Regierungsabsichten, -vorhaben, -schweinereien und -halbheiten (...) verteidigt", sei "willfährig" und "gefügig gegenüber seinem Brotgeber" gewesen. Und obendrein noch "unkritisch". Fast so, als sitze der Leibhaftige im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Und ganz so, als würde Loyalität nicht zum unentbehrlichen Anforderungsprofil jedes Regierungssprechers gehören. Gleich welcher Couleur.

Lapuentes Konsequenz: Er will Seiberts Rückkehr zum ZDF verhindern. "Man kann nicht 'verbieten', dass er bei privaten Fernsehsendern anheuert nach seiner Zeit als Regierungssprecher - aber bei dem öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ist es eine Angelegenheit des res publica [lat. öffentliche Sache, Anm. d. Verf.], da geht es uns alle etwas an! Seibert hat dort nichts mehr verloren!" Seibert sei künftig als Journalist durch seine Arbeit als Regierungssprecher unglaubwürdig. [2]

Das erinnerte mich an das hässliche Wort "Berufsverbote". In den "Hinweisen des Tages" vom 25. Mai 2012 wurde Lapuentes Ansinnen von einem Mitarbeiter der NachDenkSeiten ausdrücklich begrüßt: "Diese Einschätzung über den Regierungssprecher und die daraus geforderten Konsequenzen sind sicher absolut richtig." [3] Absolut richtig? Ein Berufsverbot? Befürwortet von angeblich kritischen Linken? Ich war gegenteiliger Meinung, Berufsverbote sind undemokratisch und Ausfluss autoritärer Strukturen. Früher was das unter linken Demokraten noch Konsens.

Leider ist die Zustimmung zu derartigen Maßnahmen auf den NachDenkSeiten kein Einzelfall: Am 3. Juli 2014 plädierte Albrecht Müller, einer der Herausgeber der "kritischen Website", dafür, Bernd Raffelhüschen, Hans-Werner Sinn, Herfried Münkler "und ähnlichen PR-Professoren (...) Professorentitel und -gehalt zu entziehen". Die drei Genannten seien "zu aller erst Lobbyisten von Einzelinteressen" und verdienten dort Geld. Und "in solchen Fällen sollte es möglich sein, den Professorentitel und die Bezahlung zu entziehen und die Pension der geleisteten Arbeit anzupassen, also zu verringern." [4] Vorwurf beispielsweise an die Adresse Herfried Münklers: Er unterstütze "die Forderung des Bundespräsidenten nach mehr Auslandseinsätzen der Bundeswehr".

Nun darf man sich über die mutmaßliche Lobbyistentätigkeit oder die vorgetragenen Ansichten der drei Professoren durchaus aufregen. Meines Erachtens in vielen Fällen sogar zu Recht. Ich selbst habe mich ja hier an dieser Stelle ebenfalls oft genug über Hans-Werner-Sinn echauffiert. [5] Aber rechtfertigt das wirklich den Entzug des Professorentitels und der daraus resultierenden Bezahlung? Nein, denn das wäre Gesinnungsrecht. Albrecht Müllers Forderung läuft nämlich genau darauf hinaus: Wer die falsche Meinung vertritt, wird durch Jobverlust bestraft. Und falsch ist eine Meinung, wenn sie Albrecht Müller missfällt.

Das ist vollkommen inakzeptabel, denn auch wenn einem deren Inhalte nicht gefallen, dürfen sich Raffelhüschen & Co. dennoch auf die vom Grundgesetz geschützte Meinungsfreiheit berufen. Artikel 5 schützt bekanntlich nicht bloß genehme Meinungen. Im Gegenteil, die Verfassung schützt ausdrücklich alle Meinungen, insbesondere jedoch die von Minderheiten (Mehrheitsmeinungen bedürfen in der Regel keines Schutzes). Das ist schließlich der Sinn der Meinungsfreiheit und auf diesem Fundament steht unsere Demokratie: "Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist. Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt." [6]

"Verdienen solche Opportunisten und Handlanger großer Interessen z.B. der Versicherungs- und der Rüstungswirtschaft das Privileg des Professors auf Lebenszeit", fragt Albrecht Müller. Hier meine Antwort: Ja, ohne Zweifel. Der Schutz vor Sanktionen ist nämlich gleichbedeutend mit dem Schutz der Meinungsfreiheit. Zwar darf man sich darüber aufregen, wenn bestens abgesicherte Professoren anderen stets "Eigeninitiative", "Flexibilität" oder "Selbstverantwortung" empfehlen und eine vermeintlich vorhandene "Hängemattenmentalität" oder das "Anspruchs-" bzw. "Besitzstandsdenken" von beruflich weniger gut abgesicherten Menschen rügen. Mit anderen Worten: Wasser predigen, aber selbst Wein saufen. Doch wer deshalb die Entlassung der Professoren fordert, wandelt auf gefährlichen Pfaden. Deshalb: Aufklärung ja, Repression nein!

Mir stellt sich unwillkürlich die Frage: In welcher Welt will Albrecht Müller eigentlich leben? Offenkundig in keiner, in der Rechtsprinzipien (Meinungsfreiheit!) gelten, sondern in einer, in der die Billigung oder die Missbilligung von Ansichten über das berufliche Schicksal von Menschen entscheidet. Und Letzteres, mit Verlaub, erinnert mich an Verhältnisse, die ich ganz gewiss nicht gutheiße und die hierzulande zum Glück überwunden sind. Das sagt jemand, der in Baden-Württemberg als Beschäftigter des öffentlichen Dienstes heilfroh ist, privat nicht die politischen Ansichten der jeweiligen Regierung vertreten zu müssen, vielmehr seit langem weidlich das vom Grundgesetz garantierte Recht ausschöpft, seine eigene Meinung zu äußern. Übrigens ohne dabei seinen Job zu riskieren. Egal, wer im "Ländle" gerade an der Regierung ist (ob Lothar Späth, Erwin Teufel, Günther Oettinger, Stefan Mappus oder Winfried Kretschmann). Und das ist gut so. Alles andere würde auch der Verfassung widersprechen - wie die unverständlichen Forderungen der NachDenkSeiten.

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[1] Soziale Bewegungen und Social Media, Fallbeispiele, Interview mit Wolfgang Lieb
[2] Ad Sinistram vom 24.05.2012, Kein Verklärer als Erklärer!
[3] NachDenkSeiten vom 25.05.2012, #17
[4] NachDenkSeiten vom 03.07.2014, Bei Raffelhüschen, Sinn, Münkler und ähnlichen PR-Professoren sollte die Möglichkeit bestehen, Professorentitel und -gehalt zu entziehen
[5] siehe z.B. "Gott schenkte uns Sinn: Hans-Werner Sinn" vom 20.09.2009
[6] Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 15.01.1958, Az. 1 BvR 400/51