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17. November 2014, von Michael Schöfer
Die SPD veräppelt wie eh und je ihre Wähler


"Vermögen wird in Deutschland im internationalen Vergleich weit unterdurchschnittlich besteuert. Wir werden die Vermögensteuer auf ein angemessenes Niveau heben, um den Ländern die notwendige Erhöhung der Bildungsinvestitionen zu ermöglichen", heißt es im "Regierungsprogramm 2013-2017" der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. [1] Das Wahlprogramm hat die Partei am 14. April 2013 auf ihrem Bundesparteitag in Augsburg einstimmig (!) beschlossen. Die Forderung nach Einführung der Vermögensteuer wurde von SPD-Chef Sigmar Gabriel lange Zeit verteidigt. Wenigstens verbal. Er wolle damit ausschließlich Millionäre in die Pflicht nehmen, verkündete er zum Beispiel kurz nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden im Jahr 2009. "Die Vermögenssteuer sei ein Beitrag zum sozialen Patriotismus und nicht Sozialneid." [2]

Die Vermögensteuer habe in Deutschland keine Chance und sei deshalb tot, sagt Gabriel heute. [3] Hat er etwa in Augsburg gefehlt? Das ist nicht die einzige Wende, die der SPD-Chef seit seinem Eintritt in die Große Koalition vollführte. Auch bei der EEG-Umlage sind seine Bemühungen längst in eine Rolle rückwärts gemündet. Im Juli vorigen Jahres durfte man bei der SPD noch lesen: "Die Bundesregierung hat zu viele Ausnahmen für Unternehmen bei der EEG-Umlage zugelassen. Die Anzahl der Unternehmen, die das Industriestromprivileg für sich reklamiert haben, ist zuletzt ständig gestiegen. Das hätte längst auf ein notwendiges Maß zurückgeführt und mit einer echten Strukturreform des EEG verknüpft werden müssen. Passiert ist wie immer: nichts." [4] Das war vor der Wahl. Im März diesen Jahres, also nach der Wahl, stand auf Sigmar Gabriels Facebook-Seite Folgendes: "Die Strompreise in Deutschland sind doppelt so hoch wie in den USA. Wenn wir nicht mindestens unsere Industrie entlasten, droht uns eine Deindustriealisierung. Das ist keine plumpe Propaganda der Wirtschaft, sondern bittere Realität." Kein CDU-Politiker hätte das besser formulieren können.

Typisch SPD: In der Regierung redet sie immer anders als in der Opposition. Sobald sie an der Macht ist, sind alle guten Vorsätze perdu. Sie traut sich einfach nicht mehr, wie weiland Willy Brandt mit seiner Ostpolitik, gegen den Strom zu schwimmen, um die Gesellschaft zu verändern. Wahrscheinlich will sie es auch nicht. Jedenfalls nicht auf den Regierungsbänken. Solange sich die Partei in der Opposition befindet, verkündet sie vollmundig alle möglichen Versprechen, doch deren Haltbarkeitsdatum ist spätestens mit dem Eintritt in eine Regierungskoalition abgelaufen.

Beispiel gefällig? Heute klingen diese Sätze wie Hohn: "Das Vertrauen in die Sicherheit der Renten ist erschüttert. Dazu hat auch die von CDU, CSU und FDP beschlossene Kürzung des Rentenniveaus von 70 Prozent auf 64 Prozent beigetragen. Die Kürzung des Rentenniveaus würde viele Rentnerinnen und Rentner zu Sozialhilfeempfängern machen." Man findet sie im SPD-Wahlprogramm des Jahres 1998. [5] Dem Programm, mit dem Gerhard Schröder und Walter Riester damals Erfolg hatten und gewählt wurden. Gemacht haben sie dann allerdings das Gegenteil, nämlich die gesetzliche Rente mit ihrer vermaledeiten Rentenreform auf den Hund gebracht. Nicht Schwarz-Gelb, sondern Rot-Grün hat's erfunden: Das Rentenniveau sinkt dramatisch, sukzessive auf magere 44,4 Prozent im Jahr 2028. Die Arbeitnehmer sollten privat vorsorgen, wovon hauptsächlich die Versicherungswirtschaft profitierte. Schröder-Freund Carsten Maschmeyer lässt grüßen. Und natürlich nicht zu vergessen die Arbeitgeber. Stichwort: Senkung der Lohnnebenkosten, denn die Beiträge zur privaten Rente zahlen nur die Arbeitnehmer. Ein Rentenniveau von 64 Prozent wie einst unter CDU-Dauerkanzler Helmut Kohl? Die Rentner würden Hosianna rufen!

Von Hartz IV ganz zu schweigen. Hier hat Gerhard Schröder den Walter Ulbricht gegeben ("Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!"). Vor der Wahl: "Wir bekennen uns zur besonderen Verantwortung gegenüber den Schwächeren in unserer Gesellschaft. Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau." [6] Dessenungeachtet erläuterte der Bundeskanzler dem verblüfften Publikum sechs Monate später (= nach der Wahl) in seiner berühmt-berüchtigten Rede vom 14. März 2003, "warum wir die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen werden, und zwar einheitlich auf einer Höhe (...), die in der Regel dem Niveau der Sozialhilfe entsprechen wird". Die Agenda 2010 hatte das Licht der Welt erblickt. Die 180-Grad-Wende, da ist Sigmar Gabriel keine Ausnahme, scheint bei Sozialdemokraten fest in den Genen verankert zu sein.

Wo die SPD mittlerweile politisch einzuordnen ist, zeigt folgendes Zitat: "In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt", schrieben Gerhard Schröder und Tony Blair anno 1999 in einem gemeinsamen Papier. Ein Bruder im Geiste schickt sich derzeit an, 45. Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Er wolle eine Gesellschaft der gleichen Chancen, nicht der gleichen Ergebnisse, beteuert dieser. [7] Der Satz stammt von einem gewissen John Ellis "Jeb" Bush. Bush ist Republikaner und Bruder von George W. Bush. Das passt zur SPD, finden Sie nicht auch?

Ob es da wirklich hilft, wenn sich SPD-Linke neuerdings in der "Magdeburger Plattform" zusammenfinden? [8] "Linke" ist in diesem Zusammenhang selbstverständlich relativ, denn nicht überall, wo "Linke" draufsteht, ist auch "Linke" drin. Zumal es ja auch immer noch das "Forum Demokratische Linke 21" der Bundestagsabgeordneten Hilde Mattheis gibt, der aber, so behaupten ihre Kritiker, mangelnde Kompromissbereitschaft vorgeworfen wird.

Vermutlich wird die SPD lange Zeit in ihrem 20-Prozent-Getto verharren. Jeder linksorientierte Wähler, der noch einigermaßen bei Trost ist, wird eine derart flexible Partei konsequent verschmähen. Man könnte den Sozialdemokraten vielleicht die Rentenreform oder sogar die Agenda 2010 verzeihen - falls sie tätige Reue an den Tag legen würde. Aber da sich momentan unter Sigmar Gabriel das traurige Schauspiel erneut wiederholt, ist von tätiger Reue bzw. Besserung überhaupt nichts zu spüren. Die SPD veräppelt vielmehr wie eh und je ihre noch verbliebenen Wähler. Da sind Zugewinne sehr unwahrscheinlich.

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[1] SPD, Regierungsprogramm 2013-2017, Seite 67, PDF-Datei mit 1 MB
[2] Merkur-Online vom 16.11.2009
[3] Stuttgarter Zeitung vom 08.11.2014
[4] SPD, Machnig: Ausnahmen bei der EEG-Umlage auf ein notwendiges Maß zurückführen, 15.07.2013
[5] SPD, Programm für die Bundestagswahl 1998, Seite 22, PDF-Datei mit 418 kb
[6] SPD, Regierungsprogramm 2002-2006, Seite 25, PDF-Datei mit 257 kb
[7] Süddeutsche vom 15.11.2014
[8] tagesschau.de vom 15.11.2014