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03. März 2015, von Michael Schöfer
Leider kein verfrühter Aprilscherz


Manchmal greift man sich buchstäblich an den Kopf. Da befinden wir uns gerade inmitten einer gefährlichen Auseinandersetzung mit Islamisten und versuchen, ihnen gegenüber unsere Überzeugungen unter Hinweis auf die säkulare Demokratie zu verteidigen - und dann haben einige nichts Besseres zu tun, als einen Gottesbezug in der schleswig-holsteinischen Verfassung zu fordern. Mit von der Partie: die beiden ehemaligen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) und Björn Engholm (SPD). [1] Das können die nie und nimmer ernst meinen, dachte ich zuerst. Quasi ein verfrühter Aprilscherz. Doch ich fürchte, die nehmen das tatsächlich ernst. Woher wollen Carstensen und Engholm überhaupt wissen, dass es einen Gott gibt? Nun, sie werden vermutlich an ihn glauben. Das bleibt ihnen unbenommen, schließlich herrscht hierzulande Religionsfreiheit. Aber müssen andere diesen Glauben zwangsweise via Landesverfassung mit ihnen teilen? In meinen Augen ist diese Forderung doppelzüngig. Wie war das nochmal mit der säkularen Demokratie? Oder gilt dieser Grundsatz nur, wenn wir mit Islamisten konfrontiert sind?

Auf dem gleichen Niveau liegt die Forderung von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Imame sollten in Moscheen auf Deutsch predigen. "Dass jemand, der in Deutschland tätig ist, auch Deutsch spricht, halte ich für eine schiere Selbstverständlichkeit." Der baden-württembergische CDU-Fraktionsvorsitzende Guido Wolf assistiert: "Die deutsche Sprache ist der Schlüssel zur Integration." [2] Das ist einerseits begreiflich, gibt es doch diese schlimmen Hassprediger. Ob die wirklich weniger hetzen, wenn sie es auf Deutsch tun müssen? Kaum anzunehmen. Andererseits gibt es da noch die römisch-katholische Kirche. Wir erinnern uns: Joseph Aloisius Ratzinger alias Papst Benedikt XVI. hat 2007 die Tridentinische Messe wieder zugelassen. Bei dieser Liturgie sprechen die Priester lateinisch. Jawohl, eine tote Sprache, die nur noch von ein paar Akademikern verstanden wird. Und natürlich von katholischen Imamen, Verzeihung, Priestern. Gelten die Sätze "Dass jemand, der in Deutschland tätig ist, auch Deutsch spricht, halte ich für eine schiere Selbstverständlichkeit" und "Die deutsche Sprache ist der Schlüssel zur Integration" abermals bloß für Muslime? Oder hält man Katholiken ohnehin für nicht mehr integrierbar? Von den Piusbrüdern ganz zu schweigen.

Die CDU streitet auch darüber, ob die Burka (Vollverschleierung) verboten werden soll. Man kann zwar trefflich darüber streiten, ob muslimische Lehrerinnen das Kopftuch tragen dürfen, aber wenn der Staat alle religiösen Symbole gleichermaßen aus den Schulen verbannt, weil er sich den Glaubensbekenntnissen gegenüber vollkommen neutral verhalten will, also auch christliche oder jüdische Symbole, ist das in meinen Augen in Ordnung. Die eigentliche Frage ist jedoch: Soll es dem Staat gestattet sein, den Bürgerinnen und Bürgern im privaten Bereich Kleidungsvorschriften zu machen? Gewiss, die Burka wird im Allgemeinen als Symbol der Unterdrückung der Frau angesehen. Und oft trifft das auch zu. Doch wie will der Staat feststellen, ob eine Muslima zum Tragen der Burka gezwungen wird oder ob sie es aus religiösen Gründen freiwillig tut? Über Moral hat der Staat m.E. nicht zu wachen, andernfalls könnte er auch Miniröcke, Leggings, Hotpants oder bauchfreie Damen-Tops verbieten. Eine an den Haaren herbeigezogene Begründung findet man schließlich für alles, insbesondere wenn es um Moral geht. Nein, die Grenze setzt allein das Strafrecht. Und die wird m.E. durch die Burka nicht überschritten (es sei denn, eine Frau wird nachweislich zum Tragen der Burka gezwungen). Reicht der Gruppendruck für ein Verbot aus? Frage: Muss dann der Gesetzgeber die Ordenstracht einer Klarisse oder Karmeliterin ebenfalls verbieten? Oh, sorry, ich vergaß, das ist selbstverständlich etwas ganz anderes.

Gerade in Deutschland sollte man mehr Sensibilität aufbringen, wenn es um Sondergesetze geht, die hauptsächlich auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zielen. Wer einen Gottesbezug in der Verfassung fordert, darf sich über gläubige Muslime nicht echauffieren. Solange er niemand zu etwas zwingt und die Gesetze beachtet, kann meiner Ansicht nach jeder Bürger so leben, wie er es selbst für richtig hält. Man muss Lebensentwürfe nicht für erstrebenswert halten, aber man muss sie tolerieren. Vor allem in einer Demokratie. "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit." Kappes? Nö, Grundgesetz, Artikel 2.

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[1] NDR vom 02.03.2015
[2] Südwest-Presse vom 03.03.2015