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07. Juni 2016, von Michael Schöfer
Erdogan überspannt den Bogen


"Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnisch-kulturelle Gemeinschaft des deutschen Volkes hineingeboren wurde. Eine Volkszugehörigkeit kann man sich genausowenig aussuchen wie die eigene Mutter. In ein Volk wird man schicksalhaft hineingepflanzt; in eine Volksgemeinschaft kann man nicht einfach ein- oder austreten wie in einen Sportverein, man wird in sie hineingeboren. Im Ausland wird man immer als Angehöriger eben dieses Volkes wahrgenommen, ob dies einem paßt oder nicht. Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (eines BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen und Völkern verantwortlich sind", schreibt die NPD auf ihrer Website. [1] Einmal Deutscher, immer Deutscher. Und einmal Ausländer, immer Ausländer. Das ist die logische Konsequenz dieser ekelerregenden rassistischen Gesinnung.

Nun hat sich der Deutsche Bundestag erdreistet, in einer Resolution den Völkermord an den Armeniern als das zu bezeichnen, was er war: Völkermord. Und dem haben, horribile dictu, auch die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten zugestimmt, beispielsweise Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Özcan Mutlu (Bündnis 90/Die Grünen), Ekin Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen) oder Sevim Dagdelen (Die Linke). Nicht nur, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Abgeordneten daraufhin als verlängerten Arm der PKK diffamiert und damit in die Nähe des Terrorismus rückt, er ist sich zumindest diesbezüglich auch mit der NPD einig: Einmal Türke, immer Türke! Selbst noch in der dritten oder vierten Auswanderergeneration. Der Autokrat fordert überdies einen Bluttest: "Manche sagen, das seien Türken. Was denn für Türken bitte? Ihr Blut muss durch einen Labortest untersucht werden." [2] Es ist kaum anzunehmen, dass er sich Sorgen um deren Gesundheit macht. Das kann man eigentlich nur so interpretieren: Ihr werdet nach dem Bluttest bestimmt sehen, dass das keine richtigen Türken sind.

Vielleicht sollte man eines von vornherein festhalten: Alle Abgeordneten im Deutschen Bundestag sind Deutsche - egal wo sie geboren sind und von wem sie abstammen. Und wer suggeriert, es gebe deutsches oder türkisches Blut, verbreitet hanebüchenen Unsinn. Obendrein gefährlichen Unsinn, wie die Geschichte gezeigt hat. Es gibt weder schwarz-rot-goldene Blutkörperchen noch welche, die mit einem Halbmond verziert sind. Anderslautende Äußerungen sind einzig und allein unter der Rubrik "Rassismus" einzuordnen. Und wer sich rassistisch äußert, ist eben ein Rassist.

Die Bundestagsabgeordneten, die Erdogan kurzerhand für seine Version des Türkentums vereinnahmt und von denen er sich jetzt ostentativ enttäuscht zeigt, sind mittlerweile massiven Anfeindungen ausgesetzt: "Verräter", "Armenierschwein", "Hurensohn", "armenischer Terrorist" und sogar "Nazi", bekommen sie in Hassmails zu lesen. Morddrohungen inklusive. [3] Die Türkei ist "auf dem Weg in eine faschistische Diktatur", konstatiert Sevim Dagdelen. Erdogan handle nach dem Motto: "Bist du nicht für unseren Kurs, bist du für Terrorismus. Alles, was kritisch ist, wird als terroristisch abgestempelt." [4] Bist du nicht für uns, bist du gegen uns - dieses simple Politikverständnis (Freund-Feind-Denken) war schon von jeher charakteristisch für Autokraten und Diktatoren. Jeglicher Couleur übrigens, ob rechts, links oder religiös, denn darin sind sich alle Radikale einig. Grautöne? Gibt es nicht, in ihren Augen ist die Welt bloß schwarz-weiß.

Die unerträgliche Hetze des türkischen Präsidenten ist ein Novum im Umgang unter offiziell befreundeten Staaten. Schließlich ist die Türkei in der Nato (Achtung: Wertegemeinschaft!) und will irgendwann in die EU aufgenommen werden. Zumindest Letzteres kann sich Erdogan inzwischen abschminken. Und es wird Zeit, dass die Bundesregierung der Türkei klar und deutlich signalisiert, dass die rote Linie überschritten ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel muss sich jetzt schützend vor die Bundestagsabgeordneten stellen. Wie weit soll es dieser Herr in Ankara denn noch treiben dürfen? Muss erst ein Mord an einem der "Verräter" passieren? Es zahlt sich nicht aus, vor Despoten zu kuschen.

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[1] NPD, Wer ist denn ein Deutscher? Was versteht die NPD unter "Volk"?
[2] FAZ.Net vom 06.06.2016
[3] Spiegel-Online vom 31.05.2016
[4] Die Welt-Online vom 21.05.2016