Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



03. September 2016, von Michael Schöfer
Diplomatie darf nie zur Selbsterniedrigung führen


Aufgabe der Diplomatie ist, über den Tag, also das aktuelle Geschehen, hinauszudenken. Aufgabe der Diplomatie ist, nie den Gesprächsfaden abreißen zu lassen. Aufgabe der Diplomatie ist, möglichst keinen unnötig vor den Kopf zu stoßen. Doch Diplomatie darf auch nie zur Selbsterniedrigung führen. Aber der Eiertanz, den die Bundesregierung in puncto Türkei auf dem diplomatischen Parkett vollführt, ist nah dran an der Selbsterniedrigung.

Das, was uns die Türkei, namentlich Staatspräsident Erdogan, seit der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages zumutet, spottet jeder Beschreibung. Zumal unter Verbündeten. Türkischstämmige Bundestagsabgeordnete als Verfügungsmasse anzusehen, ist schon allein ungehörig. Sie aber auf das Übelste zu beschimpfen, wenn sie sich - aus der Sicht Ankaras - erdreisten, eigenständig zu denken und abzustimmen, ist eine schlimme diplomatische Entgleisung. "Wie du mir, so ich dir!", ist sicherlich kein erstrebenswerter Umgangston. Doch ständig die linke Backe hinzuhalten, während einem die Türkei unablässig auf rechte schlägt, ist dumm und letztlich inakzeptabel.

Die Hasenfüßigkeit der Bundesregierung ist erstens peinlich und zweitens ein politischer Fehler. Sie distanziert sich zwar nicht ausdrücklich von der Armenien-Resolution des Bundestages, betont aber demonstrativ, diese habe keine rechtlich bindende Wirkung. Ja, was denn sonst? Seit wann sind Resolutionen rechtlich bindend? Das waren sie ja noch nie, Resolutionen hatten von jeher lediglich auffordernden Charakter. "In Entschließungen bringt der Bundestag seine Auffassung zu politischen Fragen zum Ausdruck und/oder fordert die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhalten auf. Rechtsverbindlich sind sie nicht." [1] Die Bundesregierung setzt sich damit - zu Recht - dem Vorwurf aus, vor Erdogan einzuknicken. Wenn man eine pure Selbstverständlichkeit auffallend oft betont, sagt das schließlich auch etwas aus. Das ständige Zurückweichen ermutigt Erdogan nur noch mehr. "Die haben die Hosen gestrichen voll", wird er womöglich denken. Kann sein, dass er damit sogar recht hat.

Man muss Autokraten auch einmal Widerstand entgegensetzen. Höflich, aber mit Nachdruck sagen: "Bis hierher und nicht weiter." Sie verstehen Diplomatie nämlich häufig als Schwäche. Dass Erdogan, wenn es darauf ankommt, kleinlaut einlenkt, hat ja Anfang August seine Reise nach Sankt Petersburg gezeigt. Plötzlich war Wladimir Putin für ihn wieder "mein geschätzter Freund". Nach Monaten der Eiszeit und etlichen Verbalinjurien. Die Sanktionen Moskaus nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets Ende November, die vor allem die Tourismusbranche zu spüren bekam, haben offenbar gewirkt. Das ist die Sprache, die Erdogan versteht: Konsequentes Handeln anstatt Appeasement. Für die Hasenfüßigkeit der deutschen Regierung hat er wahrscheinlich bloß Verachtung übrig. Und solange die nicht anders reagiert, wird er sich immer dreistere Unverschämtheiten erlauben. Mit Leisetreterei dürfte Angela Merkel bei ihm kaum Erfolg haben.

"Ilnur Cevik, Medien-Chefberater des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, erklärte gegenüber der ARD, eine Distanzierung durch den Sprecher der Bundesregierung sei sowieso nicht ausreichend, damit Abgeordnete des Bundestags wieder die Luftwaffe in Incirlik besuchen dürfen. Es sei ja der Bundestag gewesen, der die Resolution verabschiedet hat und nicht die Bundesregierung." [2] Quod erat demonstrandum. Na bitte, Beweis erbracht! Sollte es insgeheim eine Absprache zwischen den Regierungen gegeben haben, wie man aus der Sackgasse gesichtswahrend herauszukommen gedenkt, hat Ilnur Cevik die Bundesregierung mit seinem Statement endgültig desavouiert. Was wäre Ankara denn genehm, was könnte Erdogan besänftigen? Ein Besuch Angela Merkels im Büßergewand à la Gang nach Canossa? Ob Regierungssprecher Steffen Seibert dafür dann ebenfalls eine faule Ausrede parat hat?

Klare Kante zeigen heißt in meinen Augen zunächst einmal: Zieht endlich die Tornados vom Luftwaffen-Stützpunkt Incirlik ab. Wie bitte, das schadet dem Kampf gegen den IS? Vielleicht. Aber wenn die Türkei die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), gewissermaßen die Bodentruppen des Westens in Syrien, mit Panzern beschießen und von Kampfjets bombardieren lässt, schadet das dem Kampf gegen den IS noch viel mehr. Erdogan hat nur seine eigenen Interessen auf der To-do-Liste stehen, alles andere ist für ihn sekundär. Diplomatie in allen Ehren, aber ab einem bestimmten Punkt ist das Ganze eine Frage der Selbstachtung. Der fährt mit uns doch Schlitten, wann wird man das in Berlin zur Kenntnis nehmen? Es fällt immer schwerer, sich nicht für die eigene Regierung fremdzuschämen.

----------

[1] Deutscher Bundestag, Service A-Z, Entschließungsantrag
[2] tagesschau.de vom 02.09.2016