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28. November 2016, von Michael Schöfer
Nein, nein, keine Angst


Zukunftsromane oder -filme sind meistens Dystopien (Wikipedia: Antiutopie, ein Gegenbild zur positiven Utopie, in der Zukunft spielende Erzählung mit negativem Ausgang). In vielen Dystopien spielen Computer oder Roboter eine tragende Rolle, beispielsweise in den Filmen "2001: Odyssee im Weltraum", "Terminator" oder "Colossus". Das war bislang reine Science-Fiction, doch mittlerweile hat die Realität die Fiktion erreicht. Computer haben inzwischen eine so enorme Rechenkraft erlangt, dass die Befürchtungen, sie könnten demnächst die Macht übernehmen, leider nicht mehr vollkommen unrealistisch sind. Die Künstliche Intelligenz (KI) hat unglaubliche Fortschritte gemacht und ist in einigen Spezialbereichen bereits fast jedem Mensch haushoch überlegen.

Weltweit wird derzeit in den Forschungseinrichtungen an intelligenten Waffen gearbeitet. "Maschinen mit Entscheidungsverfahren über Tod und Leben auszustatten, ist völlig pervers", mahnt Hans-Jörg Kreowski, emeritierter Professor für Theoretische Informatik an der Universität Bremen. Er ruft deshalb zu einem Bann autonomer Waffensysteme auf. [1] Bedauerlicherweise werden die Fortschritte, die die Technik gemacht hat, total unterschätzt. Die Gefahren folglich ebenso. Man solle sich nicht fürchten, meint etwa SZ-Redakteur Helmut Martin-Jung: "Eine solche starke KI gibt es nicht, und es wird sie wohl auch nie geben. (…)  Die Furcht vor einer Herrschaft superschlauer Maschinen ist übertrieben." [2] Sein Wort in Gottes Ohr. Natürlich darf man bei der Künstlichen Intelligenz auch die Vorteile betonen, allerdings wäre es höchst fahrlässig, dabei die Gefahren zu unterschätzen. Außerdem sollte man 2016 mit der Aussage, eine solche starke KI wird es wohl nie geben, sehr vorsichtig sein. 1895 wiegelte ein gewisser Lord Kelvin, seines Zeichens Präsident der britischen Royal Society, vorschnell ab: "Schwerere als Luft? Flugmaschinen sind unmöglich." Kelvin war immerhin Professor für theoretische Physik. Sind seinen Zeitgenossen Zweifel gekommen? Vermutlich nicht, denn ein Mann mit dieser Reputation muss es ja wissen.

Google hat gerade seinen Übersetzer modernisiert, im Hintergrund erledigt eine KI die Arbeit. Das neuronale Netz beherrscht 103 Sprachen - sogar solche, die es vorher nicht mithilfe von Beispielsätzen gelernt hat. Wie das geht? Die Google-Techniker wissen es nicht. Sie "vermuten", dass die KI eine Universalsprache gelernt hat. [3] Wie kann man Gefahren ausschließen, wenn man noch nicht einmal weiß, wie ein vom Mensch geschaffenes neuronales Netz genau arbeitet? Und wie sieht das Ganze dann erst in 25 Jahren aus? Zur Erinnerung: Das Internet, so wie wir es kennen, wurde erst 1989 erfunden. Und heute hat es nahezu sämtliche Lebensbereiche infiltriert. Die "Abhörgeräte", die in George Orwells Dystopie "1984" der Überwachung der Bürger dienten, holen wir uns heutzutage sogar freiwillig ins Haus. Ständig lauschende und mit dem Internet verbundene digitale Assistenten, Spielkonsolen oder Fernseher laden geradezu zum Missbrauch ein. Die Furcht ist keineswegs übertrieben, die Menschen sind jedoch, was die Folgen ihres eigenen Handelns angeht, viel zu naiv.

Mit "Social Bots" (sozialen Robotern) beeinflusst man heutzutage selbst Wahlen. Ein von Microsoft entwickelter Social Bot namens "Tay" lief innerhalb kurzer Zeit aus dem Ruder und verbreitete rechtsradikale Hetze. Er war keine 24 Stunden am Netz, bevor er abgeschaltet wurde. Immerhin saß die Softwareschmiede aus Redmond noch am Abschaltknopf. Doch ob das auch bei den autonomen Killermaschinen, die für das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts konzipiert werden, so ohne weiteres klappt, steht in den Sternen. Wenn weder Google noch Microsoft genau wissen, was in der von ihnen geschaffenen KI vorgeht, muss man beim Pentagon mindestens genauso große Fragezeichen setzen. Was das Gefahrenpotenzial angeht eher riesengroße Fragezeichen.

Intelligente Roboter sind schon allein deshalb eine Bedrohung, weil sie in den nächsten zwei Jahrzehnten rund die Hälfte aller Arbeitsplätze ersetzen könnten, die Menschen aber trotzdem von irgendetwas leben müssen. Hartz IV dürfte sie kaum zufriedenstellen. Eine von Erwerbsarbeit befreite Gesellschaft ist durchaus attraktiv (schließlich gehen die meisten nur arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen) - zumindest solange man die Gesellschaft sozial gestaltet, d.h. die Wertschöpfung anders als bislang verteilt. Wie das Geld, das die Menschen zum Leben brauchen, erwirtschaftet wird, ist sekundär. Wichtig ist bloß, dass sie an der Wertschöpfung teilhaben und nicht als unnütz aussortiert werden. Letzteres würde wahrscheinlich zu sozialen Unruhen führen. Und ob man die mithilfe von Robocops in den Griff bekommt, bleibt abzuwarten. Anders ausgedrückt: Dystopien könnten wahr werden.

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[1] heise.de vom 27.11.2016
[2] Süddeutsche vom 19.11.2016, Printausgabe, Seite 25
[3] heise.de vom 25.11.2016