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09. Februar 2017, von Michael Schöfer
Es gibt zu wenig Gerechtigkeit in Deutschland


In Deutschland lag im Jahr 2015 die offizielle Armutsgrenze (60 Prozent des mittleren verfügbaren Einkommens der Gesamtbevölkerung) eines Alleinstehenden bei monatlich 1.033 Euro. Demzufolge waren hierzulande 16,7 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht. [1] Nun kann man gemeinhin mit Durchschnittsangaben wenig anfangen, höchstens sich selbst und das unmittelbare Umfeld dazu in Bezug setzen. Wie wenig jedoch viele verdienen, wird erst deutlich, wenn man sich die gesamte Einkommensstruktur ansieht. Und danach bekamen 45,45 Prozent der Angestellten und Arbeiter netto weniger als 1.500 Euro im Monat, also nahezu die Hälfte der unselbständig Beschäftigten (siehe rot markierter Bereich in der nachfolgenden Tabelle). 1.500 Euro sind angesichts rasant steigender Mieten in den Ballungsräumen nicht gerade viel.

Erwerbstätige nach monatlichem Nettoeinkommen 2015 [2]
(ohne Auszubildende, Selbständige und Beamte)
Monatliches
Nettoeinkommen
(von ... bis
unter ... EUR)
Angestellte und Arbeiter/-innen
(in 1000)
in Prozent
Unter 150 193 0,60 %
150 - 300 380 1,19 %
300 - 500 1615 5,05 %
500 - 700 1249 3,91 %
700 - 900 1963 6,14 %
900 - 1100 2585 8,09 %
1100 - 1300 3253 10,18 %
1300 - 1500 3287 10,29 %
1500 - 1700 3237 10,13 %
1700 - 2000 4106 12,85 %
2000 - 2300 3156 9,88 %
2300 - 2600 2112 6,61 %
2600 - 2900 1153 3,61 %
2900 - 3200 988 3,09 %
3200 - 3600 823 2,58 %
3600 - 4000 504 1,58 %
4000 - 4500 422 1,32 %
4500 und mehr 932 2,92 %
insgesamt 31958



"Der Gini-Koeffizient ist eine Maßzahl zwischen 0 und 1 zur Beschreibung der Ungleichheit einer Verteilung. Je ungleicher die Verteilung ist, desto näher liegt der Wert bei 1. Bei Gleichverteilung hat der Gini-Koeffizient den Wert 0." [3] 1985 lag er in Westdeutschland bei 0,26 - im Jahr 2015 betrug er allerdings 30,1. [4] Mit anderen Worten: Die Ungleichheit ist unterdessen spürbar gewachsen, obwohl es uns - volkswirtschaftlich betrachtet - wesentlich besser geht als damals. Von daher relativiert sich Angela Merkels Satz "Deutschland geht es gut" erheblich.

Es gibt zu wenig Gerechtigkeit in Deutschland. Und gerade hier müssen wir ansetzen. Von daher wäre es zu begrüßen, wenn es im bevorstehenden Bundestagswahlkampf wieder mehr um Gerechtigkeit gehen würde. Doch ob die Parteien, die sich vor der Wahl für Gerechtigkeit einsetzen, diese nach der Wahl auch verwirklichen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Bedauerlicherweise sind die Wählerinnen und Wähler schon viel zu oft enttäuscht worden. Hartz IV wurde bekanntlich mit den Stimmen von CDU, CSU, SPD und Grünen beschlossen.

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[1] Statistisches Bundesamt, Lebensbedingungen, Armutsgefährdung
[2] Statistisches Bundesamt, Stand und Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland, Fachserie 1 Reihe 4.1.1 - 2015, Excel-Datei mit 1,88 MB
[3] Statistisches Bundesamt, Definition Gini-Koeffizient
[4] Wikipedia, Einkommensverteilung in Deutschland (1985) und Statistisches Bundesamt, Lebensbedingungen, Armutsgefährdung (2015)