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28. April 2017, von Michael Schöfer
Der Rummel um Trump verdeckt den realen Kern des Problems


Deutsche Ökonomen sind eigenartig, so werden die Auswirkungen der deutschen Handelsbilanzüberschüsse konsequent ignoriert oder verharmlost. Das Problem liege bloß an der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit unserer Handelspartner, verkünden sie lapidar. Allerdings würden sie sich bestimmt bitter beklagen, wenn unsere Handelspartner den Rat beherzigen und tatsächlich wettbewerbsfähiger würden, denn dann müssten wiederum die Überschüsse Deutschlands sinken. Wenn ein Staat Überschüsse erwirtschaftet, muss ein anderer logischerweise Defizite aufweisen. Dass alle Überschüsse erwirtschaften, ist so unmöglich wie ein Perpetuum mobile, die globale Handelsbilanz ist bekanntlich immer genau ausgeglichen. Solange sich in einzelnen Ländern Überschussperioden mit Defizitperioden abwechseln, im Rennen um die bessere Wettbewerbsfähigkeit also mal der eine und ein andermal der andere vorne liegt, ist das absolut unproblematisch. Brisant wird das Ganze jedoch, wenn Staaten wie Deutschland chronische Überschüsse und Staaten wie die USA chronische Defizite erzielen. Nur die Dosis macht das Gift. (Paracelsus)

Demgegenüber behauptet die hiesige Ökonomenzunft, das chronische Defizit der USA sei eigentlich gar kein Problem, weshalb sie für den angekündigten Protektionismus Donald Trumps wenig Verständnis aufbringt. Mit den deutschen Überschüssen im Rücken kann man leicht den starken Max markieren. Mag sein, dass Trump die falschen Rezepte empfiehlt, ungeachtet dessen reagiert er auf reale Verwerfungen, wie etwa die Erosion der Mittelschicht. Länder, die chronische Defizite durch eine steigende Auslandsverschuldung kompensieren, können in der Tat längere Zeit damit leben. Vor allem, wenn sie die stärkste Volkswirtschaft der Erde sind, der Großteil des Welthandels über die eigene Währung abgewickelt wird und die Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit mit "Triple-A" einstufen. Dennoch müssen sie die Last für Zins und Tilgung schultern. Wächst die Auslandsverschuldung stärker als die heimische Wirtschaft, ist der Aufwand demzufolge höher als der daraus resultierende Ertrag, leidet langfristig selbst die stärkste Volkswirtschaft unter Schwindsucht.

Das ist bei den USA der Fall, die Auslandsverschuldung ist zwischen 2003 und 2016 mehr als zweieinhalbmal so stark gewachsen wie das Bruttoinlandsprodukt - eine ziemlich ungesunde Relation.

Auslandsverschuldung USA [1]
Bruttoinlandsprodukt USA [2]
2003 2016 2003 2016
6,95 Bio. US-$ 18,33 Bio. US-$ 11,51 Bio. US-$ 18,57 Bio. US-$
+ 163,82 % + 61,34 %



Auffallend ist: In Bezug auf die USA werden die Handelsbilanzdefizite meist bagatellisiert. Würde Deutschland jahrzehntelang chronische Defizite aufweisen, wäre das Geschrei mit Sicherheit riesengroß. Dann würde man mit Nachdruck fordern, dass rasch irgendetwas geschieht, weil es so nicht mehr länger auszuhalten sei. Genau das ist die Situation in den USA. Der Rummel um Donald Trump verdeckt nur den realen Kern des Problems. Ohne die Verzweiflung weiter Bevölkerungskreise wäre er wohl kaum ins Weiße Haus eingezogen. Nur macht man sich über die Ursachen dieser Verzweiflung leider viel zu wenig Gedanken. Und am wenigsten offenbar die deutschen Ökonomen.

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[1] 2003: U.S. Department of the Treasury, U.S. Gross External Debt, Stand: 31.12.2003;
2016: U.S. Department of the Treasury, U.S. Gross External Debt, Stand: 31.12.2016
[2] Bureau of Economic Analysis (BEA), National Economic Accounts, Gross Domestic Product (GDP), Current-dollar and "real" GDP, Excel-Datei mit 46 kb