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03. Juni 2017, von Michael Schöfer
Es ist egal, was der Dilettant im Weißen Haus beschließt


Dass US-Präsident Donald Trump aus dem Klimaabkommen von Paris aussteigen will, ist einerseits natürlich absolut dumm. Wer, wie Trump, die Erderwärmung für eine Erfindung der Chinesen hält ("das Konzept der Erderwärmung haben sich die Chinesen ausgedacht, um die US-Industrie konkurrenzunfähig zu machen"), hat sich von einer rationalen Sichtweise verabschiedet. Man darf über die Konsequenzen, die aus Fakten zu ziehen sind, durchaus streiten. Aber man sollte wenigstens die Fakten selbst, im vorliegenden Fall die Messergebnisse der Klimaforschung, nicht leugnen. Doch genau das tut Trump. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Wenn er irgendein New Yorker Baulöwe wäre, könnte uns das völlig kalt lassen. Beim Präsidenten des nach China zweitgrößten CO2-Emittenten ist so ein Verhalten nur noch als idiotisch zu bezeichnen.

Andererseits muss man konstatieren, dass das Klimaabkommen von Paris bei aller emotionalen Betroffenheit vor allem eines ist: Eine Ansammlung von unverbindlichen Absichtserklärungen. Es ist zwar das beste Abkommen, das man damals bekommen konnte, aber ob es dem Klima wirklich hilft, ist mehr als fraglich. Das Abkommen ist völkerrechtlich verbindlich, allerdings drohen bei Missachtung keinerlei Strafen. Genaugenommen ist das tränenreich verabschiedete und überschwänglich gefeierte Pariser Klimaabkommen lediglich ein Papiertiger. Die Unterzeichnerstaaten einigten sich darauf, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Wert zu begrenzen. Zielmarke sind 1,5 Grad. Ab 2050 sollen sich die Klimagase im Gleichgewicht befinden, d.h. die Emissionen nicht höher sein als das, was die Natur absorbieren kann. Wie das konkret zu geschehen hat, wurde indes nicht vereinbart, die freiwillig vorgelegten nationalen Klimaschutzpläne sind nicht einklagbar und gemessen am beabsichtigten Temperaturziel obendrein unzureichend (bei ihrer Umsetzung würde die Durchschnittstemperatur um viel zu hohe drei bis dreieinhalb Grad steigen).

Was die reale Umsetzung angeht enttäuscht sogar der selbsternannte Klimavorreiter Deutschland. "Die Bundesregierung hat sich im Jahr 2007 mit dem 'Integrierten Energie- und Klimaprogramm' national zu einer 40 %igen Minderung der deutschen Treibhausgas-Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 verpflichtet. Im Energiekonzept aus dem Jahr 2010 wird dieses Ziel ergänzt durch ein Minderungsziel von mindestens 55 % bis zum Jahr 2030, mindestens 70 % bis zum Jahr 2040 und 80-95 % bis zum Jahr 2050. Diese Ziele werden auch im Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 der Bundesregierung in 2014 bekräftigt und in 2016 im Klimaschutzplan 2050 festgeschrieben und mit Maßnahmen hinterlegt." [1] So weit, so gut. Die deutschen Treibhausgas-Emissionen betrugen freilich im vergangenen Jahr 906 Mio. t Kohlendioxid-Äquivalente, das bedeutet gegenüber 1990 einen Rückgang um 27,6 Prozent. Das Klimaziel einer Reduzierung von 40 Prozent auf 751 Mio. t bis 2020 wird daher aller Voraussicht nach deutlich verfehlt. Da müsste in den verbleibenden drei Jahren schon ein Wunder geschehen. Von der eigentlich notwendigen vollständigen Reduzierung (Dekarbonisierung) bis zum Jahr 2050 ganz zu schweigen. Das überrascht kaum, wenn man eine Bundesregierung hat, die zwar ständig vom Klimawandel redet, aber in der Praxis permanent eine härtere Gangart gegenüber der deutschen Autoindustrie verhindert. Und wer neue Kohlekraftwerke baut, braucht sich über das Verfehlen von Klimazielen wirklich nicht zu wundern. Das rächt sich insbesondere ökonomisch: Unsere Autoindustrie muss aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren. Stichwort: Elektroauto. Und den ehedem vor Gesundheit strotzenden Energieversorgern geht es bereits seit Jahren ziemlich schlecht. Wer heute krampfhaft am Bestehenden festhält, ist unter Umständen der Dinosaurier von morgen.

Klimaforscher messen, wie viel CO2 sich seit dem Beginn der Industrialisierung in der Atmosphäre angesammelt hat. Außerdem wird in Modellrechnung geschätzt, wie viel CO2 die Atmosphäre höchstens aufnehmen darf, um eine globale Erwärmung von nicht mehr als 2 Grad Celsius gegenüber dem Wert von 1870 zu erreichen. Daraus ergibt sich das, was die Menschheit bis dahin noch emittieren kann. Die Spanne ist nicht auf die Tonne genau zu beziffern, der renommierte Klimaforscher Stefan Rahmstorf kommt jedoch auf ein Klima-Budget von rund 600 Gigatonnen (gerechnet ab 2017). [2] In den vergangenen drei Jahren lagen die CO2-Emissionen im Durchschnitt bei 36,4 Gigatonnen [3], rein rechnerisch ist unser Klima-Budget also spätestens 2034 aufgebraucht. Dieses ambitionierte Ziel dürfte unerreichbar sein.

Das Pariser Abkommen baut moralischen Druck auf - mehr aber zunächst einmal nicht. Es als "historischen Wendepunkt" zu bezeichnen war, nun ja, reichlich übertrieben. Vom Bekenntnis zum Klimaschutz allein kann sich die Menschheit nämlich nichts kaufen. Insofern ist der jetzt angekündigte Ausstieg der USA ebenfalls nur ein rein symbolischer Akt. Er zeigt, dass Donald Trump die Erderwärmung schnurzpiepegal ist. Aber der Abschied von diffusen Zielen ohne jede Konkretisierung ist isoliert betrachtet unschädlich. Es kommt nur darauf an, wie hoch die CO2-Emissionen tatsächlich ausfallen. Da die Erneuerbaren Energien bereits jetzt konkurrenzfähig sind, könnte der Ausstoß der Vereinigten Staaten unabhängig davon, was der Dilettant im Weißen Haus beschließt, weiter fallen. Kapitalisten sind zwar ignorant, doch sie können rechnen. Das heißt: Wenn es sich betriebswirtschaftlich lohnt, Wind- und Sonnenenergie zu nutzen, mutiert sogar der profitgierigste Manager zum Umweltschützer. Aus purem Eigeninteresse. Und kluge Manager sorgen dafür, dass ihre Produkte auch noch in ein paar Jahren konkurrenzfähig sind. Andernfalls werden sie vom Markt gedrängt. Der Wettbewerbsdruck zwingt die US-Industrie dazu, möglichst ressourcenschonend zu produzieren. Nicht aus sich heraus, sondern weil es zum Beispiel die Europäer tun. Donald Trump lässt sich durch Proteste wohl kaum beeindrucken, die amerikanische Wirtschaft dafür vielleicht umso mehr. Falls nicht, könnte sie ein ökonomisches Desaster erleben.

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[1] Umweltbundesamt, Treibhausgas-Emissionen in Deutschland
[2] Spektrum.de vom 11.04.2017, SciLogs, Können wir die globale Erwärmung rechtzeitig stoppen?
[3] Die Zeit-Online vom 14.11.2016