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13. August 2017, von Michael Schöfer
Keine voreilige Absolution in Kenia


Wahlbetrug hat gerade in Afrika keinen Seltenheitswert, deshalb müssen dort Wahlbeobachter von Anfang an besonders misstrauisch sein. Was sich derzeit in Kenia abspielt, ist jedoch vor diesem Hintergrund nur noch als ominös zu bezeichnen. Es gebe keine Anzeichen für Wahlbetrug, versichern die internationalen Wahlbeobachter unisono, die Vorwürfe der Opposition seien völlig unbegründet. Der ehemalige amerikanische Außenminister John Kerry sprach von einem fairen Wahlverlauf, auch der frühere südafrikanische Präsident Thabo Mbeki nannte die Wahlen "frei, fair und transparent".

Wirklich? Woher wollen die Wahlbeobachter das so schnell wissen? Weil es in den Wahllokalen selbst keine Auffälligkeiten gab? Doch was ist mit den Vorwürfen aus den Reihen von Oppositionskandidat Raila Odinga, das Computersystem sei gehackt und die Wahlergebnisse auf diese Art und Weise gefälscht worden? Das würde man in den Wahllokalen gar nicht bemerken. Und ich glaube kaum, dass John Kerry und Thabo Mbeki Computerexperten sind. Ihr Urteil scheint mir von daher etwas voreilig zu sein.

Stellen Sie sich vor, in Deutschland würde man bei der Bundestagswahl am 24. September Wahlcomputer verwenden, doch zwei Wochen vor dem Wahltag wird der Chefinformatiker der Bundeswahlleitung ermordet aufgefunden, die Mörder hätten ihn zudem vorher schwer gefoltert. Brächte Sie das nicht zum Aufhorchen? Wären Sie da nicht äußerst misstrauisch? Vor allem, wenn der Bundeswahlleiter später einräumen müsste, dass es einen Hackerangriff gegeben habe, der aber angeblich abgewehrt worden sei. Mit dem Zugangscode des ermordeten Chefinformatikers seien Zugriffe auf den Zentralcomputer erfolgt, behauptet die Opposition und legt als Beweis sogar entsprechende Computerprotokolle vor. Es ist leicht vorhersehbar: In so einem Fall würde nicht nur das Blatt mit den großen Buchstaben rasch von Wahlbetrug sprechen. Bei der Bundestagswahl stünden auch schon die üblichen Verdächtigen fest: Russland, China, Nordkorea - entweder einer der drei oder alle gemeinsam. Doch genau das ist in Kenia passiert.

Hintertüren in Computersystemen kommen noch häufiger vor als Wahlbetrug in Afrika. Vor kurzem wurde etwa in den Fachmagazinen darüber berichtet, dass in der Firmware des Netzwerkausrüsters Juniper eine Hintertür eingebaut war. Die Juniper-Geräte waren seit 2008 angreifbar, geschlossen wurde die Lücke aber erst Ende 2015. Auf Apple-Systemen hat man kürzlich eine Spionage-Software entdeckt, die dort offenbar über viele Jahre hinweg unbemerkt ihr Unwesen trieb. Wie lange, ist bislang unbekannt. Ausnutzbare Sicherheitslücken sind heutzutage Alltag, und gut programmierte Spionagesoftware bleibt meist unentdeckt. Wenn, wie in Kenia, der Chefinformatiker der Wahlkommission zu Tode gefoltert wird, stellt sich unweigerlich die naheliegende Frage: Cui bono? Wem nützt es?

Ist es wirklich so unplausibel, dass man aus ihm Informationen herausquetschte, mit deren Hilfe die Täter anschließend die Software der Wahlcomputer manipulierten, um das von ihren Auftraggebern gewünschte Wahlergebnis zu liefern? So geschickt manipuliert, dass man es nur schwer bemerkt? Putin würde man derartige Wahlcomputermanipulationen bestimmt zutrauen - zumindest bei den Bundestagswahlen in Deutschland, aber wahrscheinlich hat er an Kenia wenig Interesse. Wer sonst? Der amtierende Präsident Kenias, Uhuru Kenyatta, gehört zu den reichsten Männern Afrikas, Forbes schätzte sein Vermögen 2013 auf 500 Millionen Dollar. Es ist seitdem gewiss nicht kleiner geworden. Glaubt man Jean Ziegler, beträgt allein das Vermögen von Kenyattas Mutter 5,4 Milliarden Dollar. [1]

Ohne ihm Wahlbetrug unterstellen zu wollen, natürlich hätte Uhuru Kenyatta das Motiv (Machterhalt) und das Geld, um hierfür die notwendigen Computerexperten zu engagieren. Inklusive das Mordgesindel für die Drecksarbeit. Denkbar wäre ebenso, die brutale Ermordung des Chefinformatikers habe bloß stattgefunden, um im Nachhinein eine vorhersehbare Wahlniederlage einigermaßen glaubwürdig angreifen zu können, denn die Vorgehensweise ist offen gesagt ziemlich plump. Kluge Manipulateure hätten die Sache wesentlich geschickter durchgeführt. Lautlos, ohne Spuren zu hinterlassen. Aber nichts ist unmöglich. Und dunkle Mächte aus dem Ausland gehören gewiss auch in Kenia zum Kreis der üblichen Verdächtigen. Captain Louis Renault aus Casablanca lässt grüßen.

Wie dem auch sei, wäre Wahlbetrug in Afrika so weltfremd? Keineswegs, er hat dort vielmehr Tradition. Das heißt, man sollte sich die Präsidentschaftswahl in Kenia ganz genau anschauen. Und dabei möglichst mithilfe von Computerexperten akribisch die Wahlcomputer unter die Lupe nehmen. Keine voreilige Absolution in Kenia. Statements, wonach die Wahl "frei, fair und transparent" war, sind angesichts der dubiosen Umstände unangebracht. Und ich bin ehrlich gesagt froh, dass wir in Deutschland unser Kreuz noch auf den schnöden Wahlzetteln machen dürfen, denn die sind im Zweifelsfall leicht zu überprüfen. Bei Wahlcomputern ist das nahezu unmöglich, jedenfalls für den einfachen Bürger. Und so dumm, die Wahlcomputer derart auffallend zu manipulieren, dass DIE LINKE am 24. September sagenhafte 52,4 Prozent bekommt und die nächste Bundeskanzlerin auf den Namen Sahra Wagenknecht hört, wäre noch nicht einmal Putin.

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[1] Jean Ziegler, Ändere die Welt, Bertelsmann 2014