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08. Dezember 2017, von Michael Schöfer
Das Hauptproblem der Palästinenser ist der Radikalismus


Die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch Donald Trump mag töricht und undiplomatisch erscheinen, massiver Widerstand ist freilich kaum zu erwarten. Hamas-Chef Ismail Hanija rief zwar zu einer neuen Intifada auf, und der Politiker Mustafa Barghuthi glaubt, falls der US-Präsident seine Entscheidung nicht zurücknehme, würden weltweit 2,6 Mrd. Muslime aufstehen, doch das ist reines Wunschdenken, denn faktisch ist die Solidarität der Muslime mit den Palästinensern löchrig wie ein Schweizer Käse. Barghuthi wird eine Enttäuschung erleben, denn die 2,6 Mrd. Muslime werden einen Teufel tun und für die Palästinenser den Aufstand wagen. (Außerdem gibt es derzeit bloß 1,8 Mrd. Muslime, Barghuthi neigt zu den üblichen orientalischen Übertreibungen.) Die Muslime sind untereinander spinnefeind und in zahlreiche Fraktionen zerfallen, die sich gegenseitig bis aufs Blut bekämpfen. Solidarität mit den Palästinensern ist daher allenfalls auf verbaler Ebene zu erwarten, keinesfalls mehr als pflichtschuldiger Protest. Gewiss, es wird in Palästina ein paar Unruhen geben, aber das kann Israel wahrscheinlich verkraften.

Das Hauptproblem der Palästinenser ist der Radikalismus. Solange es Organisationen wie die Hamas gibt, dürfen sie kaum auf Sympathien im Westen hoffen. Die Gewalt, die solche Gruppen predigen und praktizieren, ist für Israel ein willkommener Anlass, die eigene Position zu rechtfertigen. Die Meinung im Westen ist ambivalent: Einerseits wird Israel durchaus als Besatzungsmacht und Unterdrücker wahrgenommen, andererseits ist man über die Gewaltbereitschaft und Intoleranz der Palästinenser entsetzt. Im Zweifel hält man eben zur einzigen Demokratie der Region.

Was den Palästinensern fehlt, ist ein Nelson Mandela oder Mahatma Gandhi, stattdessen glänzen sie durch Selbstmordattentäter und (in Gaza) durch religiösen Fanatismus. Mit anderen Worten: Die Palästinenser haben ein Imageproblem. So kann Israel die sukzessive Aneignung des Westjordanlandes und Ost-Jerusalems weiter vorantreiben. Israel wird vermutlich auf absehbare Zeit militärisch überlegen sein, die Palästinenser können demzufolge nur ihre Interessen durchsetzen, wenn sich die Besatzungsmacht durch eigenes Handeln moralisch diskreditiert. Gewalt, so naheliegend sie als Widerstandsform erscheinen mag, ist diesbezüglich absolut kontraproduktiv.

Im Nahostkonflikt fliegen oft die Kugeln, aber in Wahrheit wird er durch Propaganda entschieden. Das südafrikanische Apartheid-Regime war ebenfalls militärisch überlegen, hat sich jedoch in den Augen der Welt - zu Recht - diskreditiert und dadurch fast jede Unterstützung verloren. Wenn die Welt die Palästinenser nicht mehr als Aggressoren ansieht, sondern als Opfer von Unterdrückern, kann sich die Situation zu ihren Gunsten ändern. Alle Versuche, den Konflikt mit Gewalt zu lösen, haben nichts gebracht - außer nur noch mehr Gewalt zu erzeugen. Stellen wir uns einmal kurz vor, wie die Region heute aussähe, wenn die Araber 1947 den UN-Teilungsplan akzeptiert hätten: Kein Unabhängigkeitskrieg, kein Sinai-Krieg, kein Sechs-Tage-Krieg, kein Jom-Kippur-Krieg und die Existenz von zwei Staaten: Israel und Palästina. Ich weiß: Hätte, hätte, Fahrradkette...