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01. Oktober 2017, von Michael Schöfer
Respekt muss man sich verdienen, er ist kein Selbstzweck

Der säkulare Nationalstaat legt großen Wert auf Symbole, schließlich muss er irgendwie die emotionale Verbundenheit der Individuen mit dem Staat erzeugen, ohne die niemand bereit wäre, seine eigenen Interessen zurückzustellen, etwa als Soldat im Krieg. Warum sonst sollte der Einzelne für die Gesellschaft sein Leben opfern? Das klappt nur, wenn man den Staatsbürgern suggeriert, sie würden sich für höherrangige Interessen einsetzen. Im Idealfall sind die Interessen der Individuen und des Staates deckungsgleich, zum Beispiel der Wunsch, in Wohlstand und Frieden zu leben. Allerdings werden solche vermeintlich höherrangigen Ziele häufig missbraucht, um bestimmten Einzelinteressen eine willige Masse zur Verfügung zu stellen. Der Nationalstolz und die Symbole des Staates dienen dann nur dazu, die wahren Ziele moralisch zu verbrämen.

Eines dieser nützlichen Symbole ist die Flagge der Vereinigten Staaten. Wenn die Nationalhymne (The Star-Spangled Banner) gespielt wird, legen viele pathetisch die rechte Hand ans Herz und singen inbrünstig mit. Patriotisch gesinnten Amerikanern gilt die Flagge als heilig. Doch neuerdings wollen etliche Sportler der National Football League (NFL) nicht mehr mitspielen. Wenn im Stadion die Nationalhymne erklingt, knien sie aus Protest gegen Rassendiskriminierung und Polizeigewalt nieder. US-Präsident Donald Trump bezeichnet die Protestierenden als Hurensöhne, die man entlassen müsse, er fordert Respekt vor der Flagge.

Doch erstens muss man sich Respekt verdienen, er ist kein Selbstzweck und kann schon gar nicht von oben verordnet werden. Respekt und Zwang schließen sich gegenseitig aus. Entweder wird Respekt aus Überzeugung gewährt oder er verkommt zur hohlen Phrase, zur sinnentleerten Symbolik. Außerdem besudelt momentan niemand die Ehre der Nation mehr als Donald Trump selbst. Zweitens ist es schon bemerkenswert, dass sich im "Land der Freien" ein Staatspräsident erdreistet, den Menschen vorzuschreiben, wie sie sich bei bestimmten Anlässen zu verhalten haben. Letztlich will er bloß davon ablenken, dass Rassendiskriminierung in den USA nach wie vor ein Problem ist. Ein Problem übrigens, das gerade Donald Trump verstärkt, Charlottesville lässt grüßen.

Ich persönlich habe staatliche Symbolik, zackig in Reih und Glied marschieren oder das Aufstehen beim Spielen der Nationalhymne, schon von jeher für ziemlich lächerlich gehalten. Obgleich ich mich durchaus als Patriot bezeichnen würde - als Verfassungspatriot. Aber Verfassungspatrioten, denen die Inhalte (Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte etc.) wichtiger sind als Äußerlichkeiten, können leicht auf das vermeintlich staatstragende Brimborium verzichten.