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09. Juni 2017, von Michael Schöfer
Die britische Unterhauswahl war ein Desaster

  • Für Premierministerin Theresa May, die die absolute Mehrheit nicht - wie ursprünglich von ihr geplant - ausgebaut, sondern vielmehr verspielt hat (die Tories haben 12 Sitze weniger als 2015). Nach so einer Wahl tritt man normalerweise zurück, doch May will Premierministerin bleiben.
  • Für die Presse, die bis auf wenige Ausnahmen Labour-Chef Jeremy Corbyn seit langem konsequent niederschreibt und seiner Partei ein Wahldebakel prophezeite, aber offenkundig die Stimmung im Land total verkannt hat. Ja, Corbyn kann sogar Wahlen gewinnen (Labour hat 29 Sitze mehr als 2015). Dass bereits jetzt, einen Tag nach der Unterhauswahl, Neuwahlen ins Gespräch gebracht werden (z.B. ARD, FAZ), ist ebenso hirnrissig wie bezeichnend. Heißt Demokratie etwa so lange wählen, bis das Ergebnis dem Establishment endlich genehm ist? Wohl kaum!
  • Für die SPD, die gezeigt bekommt, was möglich wäre, aber mit ihrer Hasenfüßigkeit bei Wahlen natürlich keinen Blumentopf gewinnt. 40 Prozent und ein Zuwachs von 9,5 Prozentpunkten für Labour - davon kann die deutsche Sozialdemokratie nur träumen. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat stark angefangen, dann allerdings peu à peu Luft aus dem Schulz-Hype entweichen lassen. Das zeigt, die Menschen hätten es gerne gerechter, möchten den Gerechtigkeitsgedanken aber auch mit deutlich mehr Substanz unterfüttert sehen. Außerdem ist die SPD mit ihrer halbherzigen Distanzierung von Gerhard Schröders Agenda-Politik nach wie vor unglaubwürdig. Anders als Corbyn, der seinen Prinzipien treu geblieben ist.
Nachtrag (10.06.2017):
Nach Auszählung aller Wahlkreise, gestern waren bloß 649 von 650 ausgezählt, haben die Tories 13 Sitze verloren und Labour 30 hinzugewonnen.