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18. Januar 2018, von Michael Schöfer
Spectre (ausnahmsweise ohne Meltdown)


Gestern dachte ich, ich muss doch mal schauen, wie es meinem alten Freund James geht. Deshalb habe ich mir im ZDF den Bond-Film "Spectre" angesehen, den ich noch nicht kannte (an der Kinokasse gebe ich dafür ja schon lange kein Geld mehr aus). Allerdings hat mich das mittlerweile 24. Werk aus der Filmreihe arg enttäuscht.

Mein lieber James, Du hast leider Gottes an Format verloren. Nehmen wir beispielsweise die hübsche Latina, die sich in der Eingangsszene von Spectre in Mexico City lasziv auf dem Hotelbett räkelt. Was ist eigentlich aus ihr geworden? Ihre erotischen Erwartungen blieben allem Anschein nach unerfüllt, denn Du hast Dich sofort nach Betreten des Hotelzimmers wieder verabschiedet und bist mit der Bemerkung "ich bin gleich wieder da" durch die Balkontür entschwunden. Sean Connery, der in den sechziger Jahren Deinen Aston Martin steuern durfte, hatte wenigstens noch Stil. Connery wäre, nachdem er innerhalb von Minuten einen ganzen Wohnblock zum Einsturz brachte und hart kämpfend fünf Fieslinge in die ewigen Jagdgründe schickte, mit einem souveränen Lächeln zu ihr zurückgekehrt. Er hätte sich kurz den Staub vom ansonsten nach wie vor makellosen Anzug geklopft, das weiße Einstecktuch zurechtgerückt und wäre alsbald zum Wesentlichen übergegangen - zum Wodka Martini. Selbstverständlich geschüttelt, nicht gerührt. Und Du? Du hast die sich lasziv räkelnde Latina bis zu Abspann noch nicht einmal wiedergesehen, um das unerwartet abgebrochene Tête-à-tête nachzuholen. Ob sie wohl im Gran Hotel Ciudad de Mèxico noch immer sehnsüchtig auf Dich wartet? Wer selbst nachsehen will: Zimmer 327.

Apropos Frauen: Dein antiquierter Umgang mit dem anderen Geschlecht passt sowieso nicht mehr in die neue Zeit. Heutzutage beordert doch kein Geheimagent, der noch alle fünf Sinne beisammen hat, die Vorzimmerdame des Chefs abends um 9 Uhr zu sich in die Privatwohnung. Nicht einmal kaltblütige Männer mit der Lizenz zum Töten wagen so etwas. Moneypenny würde den Trick mit den angeblich benötigten Unterlagen gewiss sofort durchschauen und Deine unlauteren Absichten schnurstracks auf #metoo in alle Welt hinausposaunen. Dann, das kann ich Dir versichern, hättest Du nicht bloß Ernst Stavro Blofeld am Hals, sondern vielmehr die halbe Filmindustrie. Die würde vollenden, was Dr. No, Largo, Goldfinger und dem Beißer jahrzehntelang misslang: Dich zur Strecke zu bringen. Und zwar endgültig. Außerdem siehst Du offen gesagt mit - zum Zeitpunkt des Drehtermins - immerhin 47 Jahren neben dem 30-jährigen Bond-Girl echt alt aus. Mein Gott, sie könnte fast Deine Tochter sein. Monica Bellucci alias Lucia Sciarra hätte vom Alter her wesentlich besser zu Dir gepasst. Auch wenn es neuerdings nicht mehr opportun ist, sich einer derart sexistischen Ausdrucksweise zu bedienen: Sind erfahrene Frauen nicht ohnehin die besseren Gespielinnen? James, Du wirst doch hoffentlich auf Deine alten Tage keine Angst vor selbstbewussten Frauen bekommen, die wissen was sie wollen. Das sähe Dir gar nicht ähnlich.

Bedauerlicherweise hat sich das Grundkonzept der Filmreihe seit 1962 kaum geändert. Okay, dass inzwischen die Sowjetunion als naturgegebener Widerpart des MI6 abgedankt hat - geschenkt. R.I.P. Noch immer kurios: Anstatt Dir einfach eine Kugel in den Kopf zu jagen, wollen Dir die Oberfieslinge unbedingt in aller Ausführlichkeit ihre ebenso komplexen wie bösartigen Absichten erläutern, geben Dir jedoch dadurch stets die Gelegenheit, im allerletzten Moment auf wundersame Weise zu entkommen. Meist mithilfe eines Accessoires aus der Werkstatt von Q. Das war schon von jeher unplausibel. Sei froh, dass Du Blofeld & Co. zum Gegner hast und nicht die mexikanische Drogenmafia, die hätte nämlich kurzen Prozess mit Dir gemacht. Echte Profikiller neigen nicht zum Quatschen. Eines hat sich freilich geändert, vielleicht liegt es am vorherrschenden Zeitgeist, dem intellektuelles Gehabe fremd ist. In jenen längst vergangenen Tagen glänzte besagter Sean Connery gelegentlich mit seinem geradezu enzyklopädischen Wissen. Bildung war eine vielleicht überflüssige, aber trotzdem gern gesehene Beigabe von 007. Kinobesucherinnen entzückte das. Insbesondere, weil Mr. Bond im harten Kontrast zum Popcorn fressenden Individuum auf dem Nachbarsitz stand. Diese geistreichen Höhepunkte mussten offenbar vollständig den vielen Actionszenen weichen. Eigentlich schade, denn damals träumten wir uns die Geheimdienste, wie sie nie waren: Edel, hilfreich und gut. Zumindest die im Westen. Du siehst, James, es ist eben alles bloß Blendwerk.