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18. Februar 2018, von Michael Schöfer
Wer auf der eigenen Schleimspur ausrutscht, sollte gleich liegenbleiben


Starke Männer, die es aber dennoch für notwendig erachten, anderen mit Gewalt ihre Meinung aufzuzwingen (in Wahrheit ein Symptom für ihre Schwäche), sind ja seit geraumer Zeit auf dem Vormarsch. Unter Staatspräsident Xi Jinping hat sich etwa die Volksrepublik China erkennbar reideologisiert und tritt seit kurzem auch außerhalb der eigenen Staatsgrenzen aggressiv auf. In Ankara regiert ein permanent zu cholerischen Wutanfällen neigender Recep Tayyip Erdogan, der sich mit allem und jedem anzulegen bereit ist. Vom vulgären Lügenbold Donald Trump oder dem machohaften Wladimir Putin ganz zu schweigen. Die entscheidende Frage ist, wie wir auf sie reagieren sollen.

Nun, so wie Daimler ganz gewiss nicht. Der Autobauer verwendete ein Zitat des Dalai Lama (Friedensnobelpreisträger und zugleich Chinas Staatsfeind Nr. 1): "Betrachte eine Situation von allen Seiten und du wirst offener werden." Man könnte das als ein Plädoyer für Pluralismus und Toleranz interpretieren, in unserer Demokratie also eine reine Selbstverständlichkeit. Dachte sich wohl auch Daimler, doch in China denkt man anders. Intolerant. Autoritär. Rachsüchtig. Es gab daher mächtig Ärger. Und was machte Daimler? Stellte sich hin und beharrte: "Sorry, bei uns herrscht halt Meinungsfreiheit"? Nein, absolut nicht, die Stuttgarter vollführten einen peinlichen Kotau. Und das so formvollendet, wie ihn wohl kein Lakai der Ming-Dynastie je hinbekommen hat. "Wir werden uns bemühen, Chinas Kultur und seine Werte besser kennenzulernen, und so unser Verhalten den Normen anpassen", entschuldigte sich Daimler unterwürfig. [1] Der Autobauer bedauerte, die "Gefühle des chinesischen Volkes verletzt" zu haben. Klingt verdächtig nach dem üblichen Jargon der Kulturrevolution. Fehlt bloß noch das Bekenntnis, sich künftig intensiver ins "Xi-Jinping-Denken" zu vertiefen und die weisen Ratschläge des Parteivorsitzenden strikter zu befolgen. Wir demokratischen Nichtsnutze müssen eben härter an uns arbeiten, insbesondere wenn wir in der Volksrepublik Autos verkaufen wollen. Menschenrechte? Selbstachtung? Den eigenen Wertekanon verteidigen? Pah, dafür kann man sich schließlich nichts kaufen.

"Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich", war laut Cicero das Motto von Gaius Julius Cäsar. Das scheint, 2000 Jahre danach, auch der türkische Präsident Erdogan zu denken. Die moderne Version lautet: "Wer nicht für mich ist, der ist ein Terrorist." Wie es der Zufall so wollte, stieg der frühere Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz im gleichen Hotel ab wie die Delegation des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim. Letztere hat sich daraufhin darüber beschwert, "dass in ihrem Hotel ein 'Terrorist' wohne". [2] Ist ja auch logisch: Özdemir = Kritiker Erdogans = Terrorist. Glücklicherweise macht ihr Schwarz-Weiß-Denken den Umgang mit Autokraten so einfach - entweder du küsst ihre Stiefel oder sie treten dich mit denselben in den Staub. Özdemir vermied, anders als Daimler, den Kotau, weshalb er nun unter Polizeischutz steht. Schließlich wissen wir aus Erfahrung, dass türkische Sicherheitskräfte Kritiker ihres Präsidenten sogar im Ausland gerne mal zusammenschlagen. Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Mitten in München muss ein deutscher Bundestagsabgeordneter vor türkischen Regierungsmitarbeitern geschützt werden.

Die vermeintlich starken Männer dulden keinen Widerspruch, weil sie abweichende Gedanken für gefährlich halten und generell Probleme damit haben, ihre mitunter verqueren Ansichten gegen Argumente zu verteidigen. Schon allein wer mit der chinesischen (Artikel 35: "Die Bürger der Volksrepublik China genießen die Freiheit der Rede") oder türkischen (Artikel 25: "Jedermann genießt Meinungs- und Überzeugungsfreiheit") Verfassung argumentiert, lebt gefährlich. Die Volksrepublik entführt neuerdings ausländische Staatsbürger und verschleppt sie nach China, wo sie anscheinend gezwungen werden, sich vor Fernsehkameras für ihre "Verbrechen" öffentlich zu entschuldigen und der chinesischen Regierung für die "gute" Behandlung überschwänglich zu danken. Die Türkei wiederum maßt sich an, türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten vorzuschreiben, wie sie im Deutschen Bundestag abzustimmen haben. "Verräter" sind bekanntlich überall. Auf dieser Grundlage kann es keine normalen Beziehungen geben, denn wenn wir uns dem nicht frühzeitig entgegenstellen und entschieden dagegen wehren, wird alles nur noch schlimmer. Wer zurückweicht und auf der eigenen Schleimspur ausrutscht, sollte nämlich am besten gleich liegenbleiben.

In einer globalisierten Welt mit ihren wechselseitigen Abhängigkeiten ist die Einhaltung von Mindeststandards unerlässlich. Daimler mag in puncto Pkw-Absatz zu einem Gutteil auf den chinesischen Markt angewiesen sein, umgekehrt ist China mit seinen riesigen Außenhandelsüberschüssen aber genauso abhängig davon, Zugang zu ausländischen Märkten zu besitzen. Das geht auf Dauer nur gut, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet. Dazu gehört, sich ungeschminkt die Meinung zu sagen und schließt irgendwelche Unterwerfungsgesten aus. Das Gleiche gilt in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte und die Beachtung des Völkerrechts. Keine wie auch immer gearteten Konzessionen! Das gilt wohlgemerkt für alle: für West und Ost sowie für Nord und Süd. Niemand steht über dem Gesetz - weder Donald Trump, Wladimir Putin, Xi Jinping noch Recep Tayyip Erdogan. Es ist zwingend geboten, sich in einer aus den Fugen geratenen Welt auf diese Prinzipien zurückzubesinnen. Und wer selbst das Recht missachtet, darf nicht davor zurückschrecken, auch vor der eigenen Haustür zu kehren. Die Welt stehe am Abgrund, mahnen einige auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Vermutlich nicht zu Unrecht. Aber wenn sie davon wieder weg will, dürfen wir nicht so weitermachen wie zuletzt.

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[1] Die Zeit-Online vom 14.02.2018
[2] tagesschau.de vom 18.02.2018