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13. März 2018, von Michael Schöfer
Vorsicht: Das stille Wasser geht natürlich extra!


Das ist ja mal wieder ein höchst amüsantes Schauspiel, dem wir dankenswerterweise in der ersten Reihe beiwohnen dürfen. "Der Wohlstand unseres Landes muss bei allen Menschen ankommen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags in Berlin. Und Horst Seehofer kann sich an keinen Koalitionsvertrag erinnern, "der die soziale Dimension in unserem Lande in dieser Breite abgebildet" hat. [1] Der Vertrag besiegele "eine große Koalition für die kleinen Leute". [2] Die hatte er nämlich bei seinem politischen Wirken stets im Blick. Der SPD steckt das Soziale ohnehin in den Genen, vor allem seit der Regentschaft des Arbeiterführers Gerhard Schröder, Gerechtigkeit wird in dieser GroKo also groß geschrieben. Wenn Martin Schulz das geahnt hätte...

Fragt sich nur, wer in den letzten Jahrzehnten Deutschland regiert hat. Zur Erinnerung: Die SPD ist, mit Ausnahme von vier Jahren schwarz-gelber Koalition (2009-2013), seit 1998 an der Regierung beteiligt. 16 ereignisreiche Jahre. Angela Merkel ist seit fast 13 Jahren Bundeskanzlerin, demnächst überflügelt sie Konrad Adenauer. CSU-Chef Horst Seehofer wiederum war im ersten Kabinett Merkel Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie ab 2008 bayerischer Ministerpräsident. Beide dienten in den neunziger Jahren unter Helmut Kohl als Minister. Offenbar war das immer noch nicht genug Zeit, um die beabsichtigte Politik für die kleinen Leute durchzusetzen. So ein Pech aber auch. Wer trägt denn nun für die unsoziale Politik die Verantwortung? Etwa die Mainzelmännchen? Sorry, die aktuelle Betonung des Sozialen ist doch bloß ein übles Schmierenstück zur Einlullung der Wählerinnen und Wähler. In Wahrheit wird sich wohl nichts grundlegend ändern, den Tafeln bleiben deshalb Existenzsorgen erspart.

Da lobe ich mir den jung-dynamischen CDU-Nachwuchspolitiker Jens Spahn, der offenkundig noch nicht gelernt hat, wie man soziale Grausamkeiten verschleiert. Niemand müsse in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe, behauptete der designierte Gesundheitsminister. Das war zwar herzlos, aber wenigstens ehrlich. Nur ist Ehrlichkeit in der Politik eine Währung, mit der man sich verdammt wenig kaufen kann. Der gute Mensch aus Ahaus-Ottenstein hat auch schon gefordert, das Renteneintrittsalter über 67 Jahre hinaus anzuheben. Man merkt gleich, Spahn kann aus einem reichhaltigen Reservoire an Berufserfahrung schöpfen. 1999 machte er Abitur an der Bischöflichen Canisiusschule in Ahaus, danach bis 2001 eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Westdeutschen Landesbank in Münster. Bis 2002 arbeitete er als Angestellter, seit Oktober 2002 sitzt der konservative Hoffnungsträger im Deutschen Bundestag. Nebenher studierte Spahn bis 2017 Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Zählen wir einmal zusammen: Der 37-Jährige hat immerhin rund ein Jahr gearbeitet (die Ausbildung zählt bekanntlich nicht dazu). Wow! Hätte fast für den Vorsitz des CDU-Arbeitnehmerflügels gereicht. Die Betonung liegt auf "fast".

Pro Tag bekommt ein erwachsener Hartz IV-Empfänger 4,77 Euro für Ernährung zugeteilt, größere Kinder 3,93 Euro und Kinder im Vorschulalter 2,77 Euro, rechnet Ulrich Schneider, der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtverbandes, vor. [3] Im Berliner "Cafe Einstein", das häufig von Politikern frequentiert wird, gibt es für 4,77 Euro… buchstäblich nichts! Das preiswerteste Essen auf der Speisekarte des Cafes ist ein "Rührei Natur mit feinen Kräutern" für 6 Euro. Führen Sie sich einmal kurz dieses Schlaraffenland vor Augen: Alle zwei Tage an einem Rührei einmal so richtig satt essen können (falls Sie Hartz IV-Empfänger sind). Kleine Kinder leider nur alle drei Tage. Doch wenn Sie Bundestagsabgeordneter oder sogar Bundesgesundheitsminister sind, dürfen Sie sich ruhig das "Steinbuttfilet auf sautiertem jungem Spinat, Morchel-Rahm und Erdäpfelgratin" für 24 Euro gönnen. Und das, wenn Sie möchten, täglich. Als Aperitif empfehle ich Ihnen einen Kir Royal für 13,50 Euro und als Dessert den hausgemachten Apfelstrudel für schlappe 7,20 Euro. Ob Jens Spahn oft an Hartz IV-Empfänger denkt, wenn er auswärts essen geht? Vermutlich nicht, das kann einem schließlich den ganzen Appetit verderben.

Es kommen herrliche Zeiten auf uns zu: Die CDU erneuert sich, die CSU erneuert sich ebenfalls. Die SPD hat die Erneuerung gewissermaßen schon mit der Muttermilch aufgesogen. Und alle miteinander machen endlich, endlich eine Politik für den sogenannten kleinen Mann auf der Straße. Ich sehe bereits die winzigen Restbestände von Hartz IV-Empfängern erwartungsvoll ins Cafe Einstein strömen. Doch Vorsicht: Das stille Wasser geht natürlich extra! Geheimtipp für Sparfüchse: Leitungswasser aus dem Wasserhahn der Toilette (Plastikbecher gibt es in Cafes manchmal gratis). Wasser aus der Leitung ist gesund, behauptet zumindest das Bundesgesundheitsministerium. Jedenfalls bislang. Aber das kann ja Jens Spahn demnächst auch ändern.

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[1] Süddeutsche vom 13.03.2018
[2] Süddeutsche vom 13.03.2018
[3] mdr vom 06.03.2018