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12. November 2018, von Michael Schöfer
Ich war mal kurz weg


Es ist immer wieder erstaunlich, was hierzulande innerhalb von drei Wochen passiert. Was mir nach einer urlaubsbedingten Blogpause aufgefallen ist:

Angela Merkel hat ihren Teilrückzug bekanntgegeben, sie wird im Dezember nicht mehr als CDU-Vorsitzende kandidieren. Bundeskanzlerin will sie aber vorerst bleiben. Darüber, ob ihr damit noch ein würdiger Abgang gelungen ist, gehen die Meinungen auseinander. Horst Seehofer hat ebenfalls seinen Teilrückzug angekündigt, er will im nächsten Jahr nicht mehr als CSU-Vorsitzender kandidieren. Bundesinnenminister will er aber vorerst bleiben. Allerdings sind in seinem Fall die Kommentatoren einhellig der Ansicht, dass er den Zeitpunkt für einen würdigen Abgang schon längst verpasst hat. Warum sie den Teilrückzug Merkels anders beurteilen als den Teilrückzug Seehofers, ist mir freilich vollkommen schleierhaft. Genaugenommen halten nämlich beide krampfhaft am allerletzten Zipfelchen Macht fest, den sie noch für einige Zeit glauben verteidigen zu können. Erneuerung sieht wahrlich anders aus.

Apropos Erneuerung: Friedrich Merz will Merkels Nachfolger als Parteivorsitzender werden und kündigt schon einmal lautstark "Aufbruch und Erneuerung" an. Ob "Aufbruch und Erneuerung" mit Merz überhaupt möglich sind, steht jedoch in den Sternen, denn Merz war einst für seine dezidiert wirtschaftsliberalen Ansichten bekannt und hat in den zurückliegenden Jahren in der Finanzindustrie hohe Posten bekleidet. Auf Merz scheint mir deshalb eher das paradoxe Motto "Zurück zur Zukunft" zuzutreffen. Für die CDU besteht die durchaus reale Gefahr, dass er sich rasch als Martin Schulz der Union entpuppt (the higher they climb, the harder they fall), sobald er der Öffentlichkeit seine Absichten bekanntgibt. Schließlich wurde die Erosion der liberalen Demokratie erst durch den Beinahekollaps der Finanzbranche und die mit der Globalisierung einhergehende wachsende Ungleichheit verursacht. Anders ausgedrückt: Mit Merz macht die CDU womöglich den Bock zum Gärtner.

Auch Andrea Nahles verspricht die Erneuerung und will dabei neuerdings sogar Hartz IV über Bord werfen. Nahles habe sich noch einmal die Reden "aus der damaligen Zeit angeguckt", sagte sie in einem Interview mit der Süddeutschen. "Reden von unserem damaligen Minister Wolfgang Clement und von anderen. Da schäme ich mich heute noch dafür. Sie haben damals die Sozialstaatsidee der SPD ruiniert." [1] Wohl wahr! Was Nahles anders machen will, wird einem allerdings nicht so recht klar. Genauso wenig, wie sie das Ganze durchzusetzen gedenkt. Es ist ohnehin reichlich kurios, dass ausgerechnet jene Parteien ständig von "Erneuerung" schwafeln, die seit Jahr und Tag (abwechselnd oder gemeinsam) an der Regierung sind. Der Verdacht, dass es ihnen eher um den Erhalt der Macht geht, liegt nahe. So hinterlässt beispielsweise die SPD den Eindruck, dass sie auf irgendeine Weise Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen, das angebliche Überdenken der eigenen Programmatik erscheint hierbei lediglich als Mittel zum Zweck.

Bleibt noch der verspätete Rauswurf von Hans-Georg Maaßen, dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Kein Scherz: Er sah "linksradikale Kräfte in der SPD" am Werk, die den Bruch der Regierungskoalition provozieren wollten. Maaßens Äußerungen sind nicht nur empörend, sondern geben Anlass, an der Expertise der deutschen Sicherheitsbehörden zu zweifeln. Wer die politische Realität derart grotesk verkennt, lebt wohl auf einem anderen Planeten und hätte nie in ein so wichtiges Amt aufsteigen dürfen. Linksradikale Kräfte, ausgerechnet in der SPD, das ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Die wahren Feinde der Demokratie können sich bequem zurücklehnen, solange Spitzenbeamte in den Sicherheitsbehörden ein solch verqueres Weltbild pflegen. Das BfV soll Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland überwachen. Doch wer Teile der SPD als "linksradikal" definiert, ist dafür offenkundig völlig ungeeignet. Ein Metzgermeister muss Schweinefleisch von Rindfleisch unterscheiden können. Kann er das nicht, sollte er die Branche wechseln.

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[1] Süddeutsche vom 03.11.2018, Printausgabe Seite 2