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28. April 2019, von Michael Schöfer
Panik bei der FDP


Die Partei der Besserverdienenden ist offenbar in Panik. Angesichts des Berliner Volksbegehrens zur Enteignung von Wohnungskonzernen beschloss die FDP einen (hört, hört!) Dringlichkeitsantrag zur Abschaffung von Artikel 15 Grundgesetz. Artikel 15 hat folgenden Wortlaut: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden."

FDP-Chef Christian Lindner sagt: "Artikel 15 passt nicht zur sozialen Marktwirtschaft. Er ist ein Verfassungsrelikt und wurde aus gutem Grund nie angewandt. Ihn abzuschaffen, wäre ein Beitrag zum sozialen Frieden und würde die Debatte wieder auf das Wesentliche lenken." [1] Im Dringlichkeitsantrag selbst steht: "Das von der Initiative 'Deutsche Wohnen & Co enteignen' angestrebte Volksbegehren ist verfassungswidrig. Auch aus diesem Grund lehnen wir es ab." [2]

Daran, dass die Enteignung von Wohnungsunternehmen der Wohnungsnot und der Mietpreisexplosion entgegenwirkt, darf man in der Tat mit Fug und Recht zweifeln. Das Argument, Enteignungen schaffen keine einzige neue Wohnung, ist nicht von der Hand zu weisen. Und die Haushaltsmittel, die für die Entschädigung notwendig wären, steckt man am besten in den Wohnungsbau. Ein gesetzlicher Mietpreisstopp wäre da vielleicht das effektivere Mittel. Und vor allem eins, das politisch leichter durchsetzbar ist.

Die Begründung der FDP ist trotzdem nicht stimmig. Einerseits behauptet sie, das Volksbegehren wäre verfassungswidrig (worüber es allerdings unterschiedliche Ansichten gibt), andererseits hält sie Frage dennoch für so brisant, um auf dem Bundesparteitag in einem Dringlichkeitsantrag schnell die Abschaffung von Artikel 15 zu fordern. Befürchten die Liberalen, die Enteignung könnte womöglich angenommen und vor den Gerichten letztlich sogar Bestand haben? Dass der Artikel 15 noch nie angewandt wurde, heißt ja nicht, dass er nicht doch irgendwann zum Zuge kommt. Nebenbei bemerkt ist für eine Änderung der Verfassung bekanntlich eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages und des Bundesrates erforderlich (Artikel 79 Abs. 2 GG). Die Grundgesetzänderung durchzusetzen dürfte der FDP schwerfallen.

Wie dem auch sei, jedenfalls sind die Argumente von Christian Lindner recht skurril. Artikel 15 passe nicht zur sozialen Marktwirtschaft. Darüber, ob die Mietpreisexplosion und die daraus resultierende Existenznot der Mieter zur sozialen Marktwirtschaft passt, schweigt sich der FDP-Chef freilich aus. Das Eigentumsrecht ist keine Einbahnstraße, denn der Gebrauch des Eigentums soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen (Artikel 14 Abs. 2 GG). Auch ist nicht erkennbar, wieso die Abschaffung von Artikel 15 einen "Beitrag zum sozialen Frieden" darstellen soll. Ist denn der soziale Friede durch einen Verfassungsartikel, der noch nie angewandt wurde, überhaupt bedroht gewesen? Da die Enteignung der Wohnungsunternehmen nach Auffassung der FDP ohnehin verfassungswidrig ist, besteht eigentlich aus ihrer Sicht auch künftig keine Gefahr. Gewiss, die Aktionäre der Wohnungsunternehmen, darunter einige, die viele als "Heuschrecke" bezeichnen, könnten dann ruhiger schlafen. Aber versteht sie das unter sozialem Frieden? Wo bleibt denn da bitteschön der soziale Friede der Mieter? Der bleibt bei der FDP wie gehabt auf der Stecke!

Angesichts der sich verschärfenden Lage auf dem Wohnungsmarkt wundert mich die eingangs erwähnte Panik der FDP kaum. Auf die Idee, es mit der Marktradikalität übertrieben zu haben, kommt sie natürlich nicht. Aber genau das ist die eigentliche Ursache der Misere. Die Liberalen verhalfen Helmut Kohl 1982 im Bundestag zur Regierungsmehrheit, anschließend wurde in der Wohnungsbaupolitik die Wende eingeleitet - als bewusste Abkehr von der Gemeinnützigkeit und als bewusste Hinwendung zu den Marktkräften. "Die Regierung von Helmut Kohl (CDU) geht in den 80er Jahren davon aus, dass genügend Wohnraum vorhanden ist." Sie "beendet nicht nur den sozialen Wohnungsbau, sie schafft auch noch die Wohnungsgemeinnützigkeit ab." [3] Und nicht nur damals gefiel sich die FDP in der Rolle als "Partei des Eigentums". Wie man sieht, hat sich daran nichts geändert. Sie redet viel von sozialer Marktwirtschaft, fördert in der Praxis jedoch das Gegenteil: Marktwirtschaft - ohne das Attribut "sozial".

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[1] FDP, 70. Ord. Bundesparteitag, Enteignungen sind mit der FDP nicht zu machen
[2] FDP, Beschluss des 70. Ord. Bundesparteitags der FDP, Berlin, 26. bis 28. April 2019
[3] SWR vom 21.09.2018