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26. Mai 2019, von Michael Schöfer
Kein Ruhmesblatt


Harvey Weinstein war 2017 der - sicherlich unfreiwillige - Geburtshelfer der MeToo-Bewegung. Dass sich hinter der glamourösen Fassade Hollywoods offenbar eine düstere Wirklichkeit des sexuelles Missbrauchs verbarg, konnte spätestens seit Veröffentlichung der Vorwürfe niemand mehr negieren. Wenngleich die Methoden von MeToo teilweise höchst fragwürdig waren (unbewiesene Anschuldigungen zerstörten Existenzen, landeten aber selten vor einem ordentlichen Gericht), trafen sie dennoch den Nerv der Zeit.

Jetzt wurde durch Medienberichte bekannt, "dass Weinstein und seine Partner bei seiner mittlerweile im Konkurs befindlichen Filmfirma mit mehr als 80 Frauen, die ihn beschuldigen, einen Vergleich erzielt hätten. Nach der Einigung, die sein hochkarätiges Anwaltsteam ausgehandelt hat, wird Harvey Weinstein den Klägerinnen 44 Millionen Dollar auszahlen. 30 Millionen davon wird in einen Kompensationsfond für die Opfer fließen, 14 Millionen gehen an die Anwälte." [1] Die Einigung betreffe sämtliche mutmaßlichen Opfer und schließe auch die Verfahren in Kanada und Großbritannien mit ein. Und das i-Tüpfelchen obendrauf ist: Weinstein zahlt davon keinen Cent selbst, die Kosten übernimmt nämlich seine Rechtsschutzversicherung. Für MeToo ein herber Rückschlag.

Man müsse nur reich genug sein, um ungeschoren davonzukommen, hieß es daraufhin in zornigen Kommentaren. Weinstein habe sich freigekauft und bringe seine Opfer zum Schweigen. Das mag zutreffen, doch darf man den Vorwurf nicht bloß an Weinstein richten, denn an einem außergerichtlichen Vergleich sind naturgemäß stets zwei Parteien beteiligt: eine, die sich mutmaßlich freikauft - und eine, die sich kaufen lässt. Es hätte die Chance gegeben, Weinstein vor Gericht zu zerren und die Vorwürfe dort zu klären, dazu hätten die Frauen lediglich auf die Millionen verzichten müssen, aber das Geld war ihnen anscheinend wichtiger.

Die unausweichliche Folge: Harvey Weinstein steht zwar noch in New York wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und des sexuellen Angriffs vor Gericht, aber bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt er als nicht vorbestraft. Rein rechtlich gesehen ein unbescholtener Bürger. Und jeder, der in Zukunft etwas anderes behauptet, könnte mit seinen Anwälten Bekanntschaft machen. Durch die Einigung wird natürlich auch der infame Verdacht genährt, es sei den vermeintlichen Opfern von Anfang an bloß ums Geld gegangen.

Ebenso wenig ein Ruhmesblatt: Einer der Anwälte Weinsteins ist der Juraprofessor Ronald S. Sullivan, doch nach Studenten-Protesten hat er nun seinen Posten als Dekan an der altehrwürdigen Harvard University verloren. "Für die Studenten sei die Arbeit als Dekan nicht mit der Tätigkeit als Rechtsanwalt einer Person vereinbar, die beschuldigt werde, Frauen missbraucht zu haben." [2] Die Harvard Law School existiert seit 1817, aus ihren Absolventen rekrutiert sich die Juristenelite des Landes. Die MeToo-Bewegung hat aber offenbar auch das Rechtsverständnis einer der renommiertesten Universitäten der USA beschädigt. Hat nicht jeder, sogar der schlimmste Verbrecher, das Recht auf einen Verteidiger? So steht es jedenfalls in der Verfassung der Vereinigten Staaten (VI. Zusatzartikel). Und wenn Anwälte durch die Übernahme eines Mandats Nachteile erleiden, kehren wir ins tiefste Mittelalter zurück, denn diese hysterische Hexenjagd hat nichts mehr mit den Prinzipien des Rechtsstaates zu tun, sondern beruht auf reiner Willkür.

Vieles an MeToo war von Anfang an unschön. Und bedauerlicherweise ist es seither nicht besser geworden.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 25.05.2019
[2] Legal Tribune Online vom 15.05.2019