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28. Mai 2019, von Michael Schöfer
Diese Diskussion führt bloß ins Tal der Tränen


"CDU-Bundesvize Thomas Strobl hat CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer im Streit um Wahlkampfregeln und 'Meinungsmache' im Internet gegen massive Kritik verteidigt. Es brauche im Netz Regeln, sagte Strobl (...) in Stuttgart. 'Wer glaubt, er sei im Internet im rechtsfreien Raum, obliegt einfach einem Irrtum.' Insofern habe die CDU-Bundesvorsitzende in diesem Punkt seine uneingeschränkte Unterstützung." [1]

Strobl hat vollkommen recht, das Internet ist in der Tat kein rechtsfreier Raum, die Regeln dafür stehen nämlich im Grundgesetz. Und das bereits seit 1949: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten…" (Artikel 5) Schauen wir uns kurz an, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt: "Auch scharfe und überzogene Kritik entzieht eine Äußerung nicht dem Schutz des Grundrechts." (Urteil vom 25.08.1994, 1 BvR 1423/92) Oder: "Auch überspitzte Kritik fällt grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit." (Urteil vom 28.07.2014, 1 BvR 482/13) Wenig verwunderlich, denn der öffentliche Diskurs ist den Verfassungsrichtern zufolge konstitutiv (grundlegend, wesentlich, elementar) für die Demokratie. (Urteil vom 15.01.1958, 1 BvR 400/51) Meinungsäußerungen erregen naturgemäß ständig bei irgendwem Unmut, aktuell etwa bei Annegret Kramp-Karrenbauer und ihrer Partei.

Anders ausgedrückt: Meinungsmache (laut Duden die "versuchte Beeinflussung der Meinungen anderer") ist ausdrücklich erlaubt und keineswegs verboten. Ob analog oder digital ist unerheblich. Im Gegenteil, Meinungsmache ist das Salz in der Suppe der Demokratie und wird für gewöhnlich unter der Rubrik "freier Meinungskampf" eingeordnet. Thomas Strobl ist in Baden-Württemberg übrigens Innenminister und müsste es schon von daher besser wissen. Eigentlich… Aber es war den Regierenden von jeher lästig, wenn die Menschen ihre Grundrechte auch tatsächlich wahrnahmen. Deshalb gab und gibt es nach wie vor Bestrebungen, missliebige Meinungsäußerungen zu beschränken. Früher nannte man das Zensur. Die ist allerdings im Gegensatz zur Meinungsmache wirklich verboten. Wo steht das? Nun, unter anderem im Grundgesetz: "Eine Zensur findet nicht statt." (Artikel 5)

Merkt die CDU nicht, wie skurril diese Diskussion ist? Erst beschweren sich viele Bürger über die in ihren Augen unzureichende Politik der GroKo, dann verliert die CDU bei der Europawahl massiv Prozentpunkte an die Grünen, und nun redet dank AKK die ganze Nation auch noch über die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet. Ist die CDU verrückt geworden? Was soll das? Besser wäre, über die Defizite der Regierungspolitik zu reden, beispielsweise hinsichtlich der Klimapolitik. So wie Rezo in seinem inzwischen berühmten YouTube-Video (bis dato 12,8 Mio. Aufrufe). Die CDU sollte Kritik begrüßen und konstruktiv mit ihr umgehen, aber anscheinend fehlen ihr die Argumente oder die Einsicht. Mein Rat an die CDU: Macht nur so weiter. Bei der SPD könnt ihr euch ansehen, wohin das führt. Ins Tal der Tränen.

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[1] SWR vom 28.05.2019