Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



02. Januar 2020, von Michael Schöfer
Ich plädiere für Maßnahmen, die etwas bewirken


Manchmal werden Maßnahmen umgewidmet und mutieren dadurch zu einem reinen Abkassiermodell. Das hierzulande bekannteste Beispiel ist wohl die Schaumweinsteuer, die 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt wurde. Die Kriegsflotte ist längst hinüber, die Schaumweinsteuer hat allerdings ungeachtet dessen bis heute überlebt. 378 Mio. Euro nahm der Fiskus 2018 durch den Sektgenuss ein. Eine wesentlich sinnvollere Maßnahme, deren Umwidmung droht, ist das Anwohnerparken. Ursprünglich sollte die Parkraumbewirtschaftung durch eine Anwohnerparkbevorrechtigung das Dauerparken von Pendlern verhindern, damit die Anwohner in ihrem Wohnquartier leichter Parkplätze finden. Parkraumbewirtschaftung findet man deshalb in den Innenstädten und den daran angrenzenden Stadtteilen.

"Die Parkraumbewirtschaftung ist ein wichtiges Steuerungselement des öffentlichen Parkraumangebotes in hochbelasteten Gebieten. Die übersteigerte Nachfrage in diesem innenstadtnahen Bereich führt zu einer erhöhten Verkehrs- und damit auch zu erhöhter Lärm- und Umweltbelastung, sowie zu einem starken Anreiz, sein Fahrzeug ordnungswidrig und behindernd auf allen verfügbaren Flächen abzustellen. Eine massive Überlastung innenstadtnaher Quartiere durch Pendlerparkverkehr ist belastend für das Umfeld, besonders für die Wohnnutzung", begründete etwa die Stadt Mannheim die Ausdehnung der Anwohnerparkzone. [1] Früher, vor der Einführung der Parkraumbewirtschaftung, hat man tagsüber in seinem Wohnquartier nur schwer einen Parkplatz gefunden, das hat sich nach deren Einführung wenigstens ein bisschen gebessert.

Nun fordert der Verband der Automobilindustrie (VDA) eine grundlegende Reform der Parkraumbewirtschaftung in den Städten. Er schlägt vor, "die Preise für Bewohnerparkausweise einkommensabhängig zu staffeln. Das bedeutet also: Besserverdienende müssten mehr bezahlen." Der Deutsche Städtetag will zudem den Preis für den Bewohnerparkausweis drastisch erhöhen. "Derzeit dürfe ein Anwohnerparkausweis für ein Jahr nicht mehr als 30 Euro kosten. 'Das deckt oft noch nicht einmal den Verwaltungsaufwand der Städte für Schilder und die Ausweise', kritisierte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy in der 'Saarbrücker Zeitung'. Stattdessen sollten die Städte für Parkausweise einen Jahrespreis im Rahmen von 20 bis 200 Euro festsetzen dürfen. Öffentlicher Raum sei knapp, er habe seinen Wert." [2]

Wie das Einkommen der Anwohner erfasst werden soll, verrät uns der VDA freilich nicht. Sollen dem Antrag Gehaltsbescheinigungen beigefügt werden? Und wenn ja, bloß vom Halter oder auch von allen in seinem Haushalt lebenden Personen? Auf welcher Rechtsgrundlage das Ganze erfolgen soll, verschweigt der VDA ebenfalls. Der Verband der Automobilindustrie ist die wichtigste Interessenvertretung der Automobilhersteller und -zulieferer in Deutschland und setzt sich normalerweise für die Beseitigung von bürokratischen Hürden ein. Ich fürchte, der Vorschlag ist vom VDA nicht bis zur letzten Konsequenz durchdacht worden, denn die einkommensabhängige Vergabe von Bewohnerparkausweisen würde - rechtliche Zulässigkeit vorausgesetzt - ein wahres Bürokratiemonster erschaffen. Wenig praktikabel also. Besser wäre, die Gebühr nach der Größe es Autos zu staffeln. Größere Autos brauchen mehr Parkraum, und die Angaben über den Fahrzeugtyp sind bei den kommunalen Zulassungsbehörden bereits gespeichert. Das könnte den Trend zu den spritfressenden SUV wieder umkehren und den Absatz von Kleinwagen fördern - woran die Autobauer jedoch wenig Interesse haben.

Das Anliegen des Deutschen Städtetags in allen Ehren, aber die Zielgruppe, die man mit der Parkraumbewirtschaftung treffen wollte, waren ja ursprünglich die quartiersfremden Dauerparker. Warum die Anwohner mehr zahlen sollen, obgleich sie nicht die Verursacher der Pendlerströme sind, will sich mir nicht so richtig erschließen. Stichwort: Verursacherprinzip. Die Pendler können überdies auf die Benutzung des Autos verzichten und auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen (z.B. Park and Ride), die Anwohner hingegen leben nun mal dort, wo sie ihre Wohnung haben. Der richtige Weg wäre deshalb, die Parkgebühren für die Pendler drastisch zu erhöhen. Außerdem muss vor allem das Fahren teurer und damit unattraktiver werden. Die Anwohner zu bestrafen, um mehr Platz für die Pendler zu schaffen, würde die Ziele der Parkraumbewirtschaftung ad absurdum führen.

Ob man in der Stadt überhaupt ein Auto braucht, ist in erster Linie eine Frage der vorhandenen Alternativen. Entscheidende Kriterien sind: Wie gut ist der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ausgebaut, wie attraktiv ist seine Nutzung. Ich habe mein Auto schon vor nahezu 20 Jahren abgeschafft und fahre seitdem innerorts hauptsächlich mit der Straßenbahn oder gehe zu Fuß. Wenn ich unbedingt ein Auto brauche, nutze ich das Carsharing von Stadtmobil. Klappt hervorragend, ist obendrein im Vergleich zur Anschaffung und dem Unterhalt eines eigenen PKW spottbillig, hängt aber natürlich von den jeweiligen Lebensumständen ab. Wäre ich beruflich bedingt zum Pendeln gezwungen, wäre ich unter Umständen auf ein eigenes Auto angewiesen, falls ich meinen Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer oder gar nicht erreichen könnte. (Hinweis: Carsharing ist zum täglichen Pendeln ungeeignet.)

In Luxemburg wird demnächst der ÖPNV im gesamten Land kostenfrei sein, auch in Augsburg kann man seit Jahresbeginn Busse und Bahnen in der Innenstadt ohne Fahrschein nutzen. Solche Maßnahmen dürften eine erheblich größere Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr hin zum ÖPNV nach sich ziehen, als lediglich die Kosten für die Bewohnerparkausweise zu erhöhen. Die Anwohner werden zwar abkassiert, aber ob es dadurch in den Städten ein Auto weniger gibt, ist mehr als fraglich. Ich plädiere deshalb für Maßnahmen, die etwas bewirken.

----------

[1] Stadt Mannheim vom 26.10.2015
[2] tagesschau.de vom 02.01.2020