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16. November 2019, von Michael Schöfer
Da fühlt man sich als Leser veräppelt


Der Journalismus sei in der Krise, heißt es allenthalben. Doch das liegt bedauerlicherweise nicht nur am Internet, sondern zumindest zum Teil auch am Journalismus selbst. Genauer: An der Qualität des Journalismus. Was denkt zum Beispiel der Leser, wenn er auf dem Onlineportal "DerWesten" (Funke-Mediengruppe) folgende Überschrift liest? "Asteroid rast auf Erde zu: Nasa greift zu radikaler Maßnahme." (16.11.2019, 11:08 Uhr) Garniert mit einem dramatisch aussehenden Symbolbild. Bestimmt: "Schockschwerenot, der Weltuntergang naht." Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) habe im Oktober vor dem Asteroid 2019 SU3 gewarnt, lesen wir anschließend. "Dieser könnte im Jahr 2084 auf der Erde einschlagen." Und zwar mit einer Einschlagwahrscheinlichkeit von eins zu 152 (= Platz vier der Risikoliste). Puh, wenigstens nicht gleich übermorgen. Im Folgenden erfahren wir allerdings, dass 2019 SU3 ganz von der Risikoliste genommen worden sei, weil er erstens bloß einen Durchmesser von 15 m hat und daher beim Eintritt in die Erdatmosphäre vermutlich verglühen würde. Und zweitens nähert er sich der Erde am 16. September 2084 lediglich "auf bis zu 120.000 Kilometer". Erst im letzten Drittel des Artikels erkennt man, dass sich die bedrohlich klingende Schlagzeile auf Überlegungen von NASA und ESA bezieht, "wie man Asteroiden-Einschläge abwehren könnte". Da fühlt man sich als Leser, gelinde gesagt, veräppelt. Am Anfang steht die alarmierende Schlagzeile, die sich dann aber im weiteren Verlauf in Luft auflöst. Qualitätsjournalismus geht m.E. anders.