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11. April 2020, von Michael Schöfer
Eine Gefahr zu ignorieren, hat noch nie geholfen


Ach, wenn du nur geschwiegen hättest… Aber der Wirtschaftsrat der CDU, in dem Unternehmen und unternehmerisch tätige Führungskräfte Mitglied sind, ist nun mal naturgemäß nicht zum Schweigen da: "'Nach der Corona-Krise müssen wir prinzipiell alle Sonderbelastungen der deutschen Wirtschaft auf den Prüfstand stellen, die einer Erholung und einer Anknüpfung an unsere bisherige Stärke im Wege stehen', sagt Wolfgang Steiger, der Generalsekretär des Rates. Dazu zählten auch Sonderwege in der Klima- und Energiepolitik, 'durch die eine De-Industrialisierung droht'. Auf europäischer Ebene solle sich die Bundesregierung zudem 'für eine zeitliche Streckung der klimapolitischen Zielvorgaben einsetzen'." [1] Manche sind eben durch nichts zu beirren und erweisen sich als ausgesprochen lernresistent, denn sie spielen eine aktuelle Katastrophe gegen eine zukünftige aus, ohne jedoch aus dem Vorgefallenen die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.

Warum reagieren die Regierungen auf das Coronavirus (SARS-CoV-2) mit drastischen Maßnahmen, während sie auf die Bedrohung durch den Klimawandel nur unzureichend reagieren? Warum hören sie in der Coronakrise auf den Rat der Wissenschaftler (speziell der Virologen), während sie den dringenden Rat der Klimawissenschaftler größtenteils ignoriert haben? Es ist die zeitliche Nähe von Ursache und Wirkung. Die Toten durch das Coronavirus liegen jetzt in den Leichenhallen, die Toten durch den Klimawandel wird es erst in ein paar Jahren oder Jahrzehnten geben. Die künftigen Leichenberge sind daher bloß abstrakt und offenbar kein Anlass, ähnlich hart zu reagieren. Ein Vorurteil, das sich aber leider immer wieder bestätigt: Politiker denken meist bloß bis zum Ende der Legislaturperiode.

Derzeit wird viel darüber gesprochen, dass der Shutdown unserer Wirtschaft gut für die Umwelt sei. Das mag temporär durchaus zutreffen, ignoriert aber die Trägheit der Ökosphäre. Genauso wie sich der CO2-Anteil in der Erdatmosphäre peu à peu aufgebaut hat (in meiner Lebenszeit wuchs er um knapp ein Drittel), genauso wenig baut er sich durch einen nur wochen- oder monatelangen Shutdown rasch wieder ab. Das Global Monitoring Laboratory der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) auf Mauna Loa/Hawaii/USA misst permanent die Zusammensetzung unserer Atmosphäre. Und der Shutdown macht sich dort noch gar nicht bemerkbar. Das Global Monitoring Laboratory hat im März 2020 einen CO2-Anteil von 414,50 ppm (parts per million) gemessen - mehr als in den unmittelbar vorangegangenen Monaten. Zudem deutlich mehr als vor einem Jahr, denn im März 2019 waren es im Durchschnitt noch 411,97 ppm. [2]

Ebenso träg reagiert unser Klima: Der Februar 2020 war der zweitwärmste Februar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1880 (Daten für den März 2020 liegen noch nicht vor). [3] Und auch dieser Trend wird sich kaum durch vorübergehende Maßnahmen ändern, geschweige denn umkehren. Der CO2-Anteil der Erdatmosphäre, mithin die Gefahr durch die Erderwärmung, lässt sich demzufolge nur durch eine langanhaltende Reduzierung der CO2-Emissionen verringern. Ein kurzer Einbruch bringt so gut wie nichts (selbst die "Große Depression" nach 1929 hatte keinen spürbaren Einfluss auf die gemessenen Durchschnittstemperaturen).

Der CDU-Wirtschaftsrat macht obendrein den gleichen Fehler, den die Nationen vor der Corona-Pandemie gemacht haben. Die Regierungen haben den Gesundheitssektor zusammengespart und entgegen den Empfehlungen die Einlagerung der notwendigen Schutzausrüstung versäumt. Mit ein Grund für die vielen Toten in Italien und Spanien. [4] Fehler, die man im Nachhinein auf die Schnelle natürlich nicht mehr korrigieren konnte. Daraus nun aber den Schluss zu ziehen, man müssen auch in puncto Klimaschutz die Vorsorge unterlassen, anstatt aus der mangelhaften Vorbereitung auf die Pandemie zu lernen, ist dreist. Eine Gefahr zu ignorieren, hat noch nie geholfen - egal welche. Im Gegenteil, sich ihr nahezu unvorbereitet auszuliefern, zieht stets die schwerwiegendsten Folgen nach sich. Insofern wäre es ein großer Fehler, nach der Bewältigung der Coronakrise den Klimaschutz zu vernachlässigen. Nein, es wäre nicht bloß ein großer Fehler, es wäre eine bodenlose Dummheit.

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[1] Süddeutsche vom 10.04.2020
[2] Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), Monthly Average Mauna Loa CO2
[3] NASA Goddard Institute for Space Studies (GISS), GLOBAL Land-Ocean Temperature Index