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21. Mai 2005, von Michael Schöfer
Peinlich, peinlich


Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat im April drei Parteifreunde und Kabinettskollegen, Finanzminister Weimar, Justizminister Wagner und Innenminister Bouffier (alle CDU), mit dem hessischen Verdienstorden ausgezeichnet. Der Orden wird für "hervorragende Verdienste um das Land Hessen und seine Bevölkerung" verliehen, vorschlagsberechtigt sind die hessische Landesregierung (!) und der Landtagspräsident. Mit anderen Worten: die Minister selbst. Regierungssprecher Dirk Metz zufolge hätten im letzten Jahr auch die Bundesminister Clement, Schily und Struck (alle SPD) das Bundesverdienstkreuz erhalten. Deshalb könne er die Aufregung um die Verleihung des hessischen Verdienstordens an amtierende Minister nicht nachvollziehen.

Daß sich die Regierenden gegenseitig mit Orden und Auszeichnungen bekränzen, kannte man bislang nur von Diktaturen. Beispiel DDR: Der "Karl-Marx-Orden" war die bedeutendste Auszeichnung der Deutschen Demokratischen Republik. Er wurde für hervorragende Verdienste
  • in der Arbeiterbewegung
  • bei der schöpferischen Anwendung des Marxismus-Leninismus
  • bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus mit seinem Kernstück, dem ökonomischen System des Sozialismus
  • in Wissenschaft und Technik
  • in Kunst, Bildung, Erziehung und Kultur
  • im Kampf um die Sicherung des Friedens
  • in der Pflege und Förderung echter freundschaftlicher Beziehungen zur Sowjetunion, zu den anderen sozialistischen Staaten und allen friedliebenden Völkern der Welt sowie solcher Beziehungen von Angehörigen und Organisationen dieser Völker zur Deutschen Demokratischen Republik
verliehen und war mit 20.000 DDR-Mark dotiert. [1]

Die Liste der Ordensträger liest sich wie das "Who is who" der DDR. Man hat sich unaufhörlich gegenseitig vorgeschlagen und ausgezeichnet: Otto Grotewohl, Wilhelm Pieck, Erich & Margot Honecker, Willi Stoph, Günter Mittag, Erich Mielke und viele andere mehr. Auch so schillernde Persönlichkeiten wie Nicolae Ceausescu (verliehen 1988!) und Alexander Schalck-Golodkowski durften nicht fehlen.

Der "Vaterländische Verdienstorden" ging an den gleichen Personenkreis: u.a. Otto Grotewohl, Wilhelm Pieck, Erich & Margot Honecker, Willi Stoph, Günter Mittag und natürlich Erich Mielke. [2]

Ebenso der Ehrentitel "Held der Arbeit": u.a. an Wilhelm Pieck, Willi Stoph, Günter Mittag und - man ahnt es schon - Erich Mielke. [3]

Überhaupt Mielke, der war irgendwie immer dabei. Orden, Titel und Auszeichnungen sammeln gehörte offenbar zu seinen Hobbies: Karl-Marx-Orden, Orden Banner der Arbeit, Vaterländischer Verdienstorden, Scharnhorst-Orden, Orden für Verdienste um Volk und Vaterland, Held der Arbeit, Held der DDR, Lenin-Orden, Rotbanner-Orden, Orden der Oktoberrevolution, Medaille Goldener Stern, Held der Sowjetunion etc. Heute kann man über diese Selbstbeweihräucherung und kleingeistige Titelsucht nur noch milde lächeln.

Doch derlei menschliche Schwächen gab es nicht nur im sogenannten Sozialismus. Wie wir jetzt erfahren, gibt es das auch bei uns. Die Regierenden verleihen sich gegenseitig hohe und höchste Auszeichnungen. Ob in Wiesbaden oder in Berlin, überall das gleiche. Meiner Ansicht nach ist so etwas extrem peinlich. Und ich frage mich, mit welcher psychischen Grundausstattung die einander Ehrenden gesegnet sind. Glauben sie wirklich, wenn sie sich wechselseitig lobpreisen, das Ganze hätte etwas mit echter Anerkennung zu tun? Es ist eine Farce. Und die, die die Farce veranstalten, müßten das eigentlich erkennen. Noch unbehaglicher wird mir, wenn ich mir vor Augen halte, daß wir von solchen Menschen regiert werden. Angesichts dessen kann man von Glück reden, wenn man nicht zu den Ausgezeichneten gehört und hoffentlich niemals gehören wird. In so einer illustren Gesellschaft würde man sich nur unwohl fühlen.

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[1] Wikipedia, Karl-Marx-Orden
[2] Wikipedia, Vaterländischer Verdienstorden
[3] Wikipedia, Held der Arbeit