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10. März 2006, von Michael Schöfer
Getrickst wird doch überall


Das entschuldigt vieles. Selbst bei Gutmenschen, die andere ständig für deren Fehlverhalten kritisieren. Oskar Lafontaine (Linkspartei.PDS / WASG) beispielsweise soll Zeitungsberichten zufolge alle Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien, die der eigenen Fraktion sind von diesem Verdikt selbstverständlich ausgenommen, als Schweinebande bezeichnet haben. Was er heftig in Abrede stellt. Nicht den Gebrauch des Begriffs "Schweinebande", sondern daß er damit seine Parlamentskollegen gemeint hat. Eine Schweinebande seien für ihn vielmehr die Unternehmer. Wie auch immer, es soll ja Zeitgenossen geben, die keine Affinität zum Christentum aufweisen und sich dennoch an den durchaus treffenden Spruch erinnern: "Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?"

Nehmen wir etwa die Berliner WASG. Die will, wie sie gerade basisdemokratisch in einer Urabstimmung beschlossen hat, bei den nächsten Abgeordnetenhauswahlen in Berlin gegen die Linkspartei.PDS antreten. "Von den 591 Mitgliedern, die an der Urabstimmung teilnahmen, stimmten 272 (51,6 Prozent) für diesen Schritt, 245 (46,5 Prozent) dagegen." [1] Knapp, aber Mehrheiten sind eben Mehrheiten.

Das paßt dem Bundesvorstand der WASG und der Linkspartei.PDS jedoch nicht ins Konzept, deshalb wird das Ergebnis kurzerhand nicht anerkannt. Gemessen an den 860 Berliner Mitgliedern sei das keine Mehrheit, wird plötzlich behauptet. Aha. So einfach ist das. Mehrheit ist offenbar nur das, was den Kurs der Großkopfeten absegnet. Wenn man lange genug herumrechnet, Politiker sind darin schließlich geübt, kann man die unterlegenen 46,5 Prozent nachträglich vielleicht doch noch zum Sieger erklären.

Aber es kommt noch besser: "Satzungen interessieren mich in diesem Fall nicht", äußerte WASG-Bundesvorstandsmitglied Klaus Ernst lapidar. "Politisch sei klar, dass die Befürworter eines WASG-Alleingangs in Berlin keine Mehrheit erhalten hätten. 'Selbstverständlich' werde man daher den Landesverband ausbremsen." [2] Ich denke, Klaus Ernst sollte bei Oskar Lafontaine anklopfen und sich von ihm einmal detailliert die Bedeutung des Begriffs "Schweinebande" erläutern lassen. Womöglich kommt dabei heraus, daß Oskar damit tatsächlich Politiker gemeint hat. Unter Umständen sogar welche aus dem eigenen Lager.
  • Demokratie bedeutet, dass sich alle Mitmenschen in einer Gesellschaft gleichberechtigt an deren Gestaltung beteiligen können.
  • Wir wollen mehr Demokratie wagen.
  • In allen Lebensbereichen müssen die Beteiligten demokratisch mitbestimmen.
  • Uns führt das gemeinsame Anliegen für eine gerechtere Gesellschaft zusammen. Dazu wollen wir eine neue Kultur der gegenseitigen Anerkennung und Rücksichtnahme auf unterschiedliche Grundüberzeugungen entwickeln.
  • Wir wollen eine politische Praxis entwickeln, die unsere Positionen glaubwürdig zur Geltung bringt.
Eine Partei "neuen Typs" wollte man einst werden. Ich fürchte, dieser Versuch ist gründlich mißlungen. Was einem hier begegnet, ist eher eine Partei der herkömmlichen Sorte.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 08.03.2006
[2] Frankfurter Rundschau vom 10.03.2006