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04. Mai 2006,von Michael Schöfer
So eine Unverschämtheit


Stellt Euch vor, was sich Evo Morales, der neue Präsident Boliviens, gerade erlaubt hat: Er ließ die bolivianischen Gasfelder vom Militär besetzen und verstaatlichte den gesamten Energiesektor. Sorry, ich muß mich korrigieren: Evo Morales ließ natürlich UNSERE Gasfelder, die rein zufällig in Bolivien liegen, besetzen. Wie überhaupt sämtliche Energieressourcen dieses Planeten fraglos den Industriestaaten gehören. Eine Laune der Natur hat sie lediglich in den sogenannten Entwicklungsländern zwischengelagert. Aus Platzgründen, versteht sich. Aber gehören tun sie in Wahrheit uns. Da beißt die Maus kein Faden ab.

Die internationalen Wohltäterorganisationen, ich meine damit die großen Energiekonzerne (Exxon, BP, Total etc.), haben jetzt leider das Nachsehen. Sie bekommen von Morales bloß noch 50 Prozent des Produktionswerts angeboten. "Wenn den Unternehmen die Konditionen nicht passen, können sie gehen", droht der bolivianische Präsident naßforsch. [1] So eine Unverschämtheit. Aber warte, wir kriegen Dich. Schließlich haben wir mit Aufwieglern gegen die gottgewollte und rein zufällig für uns äußerst vorteilhafte Weltordnung schon reichlich Erfahrung gesammelt.

Mohammed Mossadegh beispielsweise, der wollte 1951 im Iran ebenfalls UNSERE Erdölfelder enteignen. "Auslöser war die britische BP, die das Ölgeschäft in Iran beherrschte und die sich in Verhandlungen strikt weigerte, ihre Gewinne aus dem Ölgeschäft zur Hälfte mit dem iranischen Staat zu teilen." [2] Ha, da hat er sich aber geschnitten. Mit Hilfe der CIA wurde der iranische Ministerpräsident kurzerhand zum Teufel gejagt und der allseits bekannte Menschenfreund Schah Mohammad Reza Pahlavi inthronisiert. Die Parallelen sind unverkennbar. Sei gewarnt, Evo, Du ahnst gar nicht, was auf Dich zukommt.

Und drücke nicht unnötig auf die Tränendrüse. So wird beispielsweise behauptet, in Bolivien betrage die Armutsquote 63 Prozent, davon wären sogar 37 Prozent absoluter Armut unterworfen. Dein Land sei damit das ärmste in ganz Südamerika, heißt es. [3] Na und? Ist das ein Grund, UNSERE Gasvorräte zu plündern? Deine Bolivianer sollten besser fleißig Landwirtschaft betreiben, als sich schamlos an UNSEREN Ressourcen zu bereichern. Aber bitte nicht den lukrativen Koka-Anbau forcieren, denn dagegen haben wir ebenfalls etwas einzuwenden. Wenn Dein Volk etwas vom Reichtum der Welt abhaben will, darf es halt nicht den ganzen Tag auf der faulen Haut herumliegen. Diesen klugen Rat geben wir Dir im übrigen, um unseren guten Willen unter Beweis zu stellen, gratis. Die Gasfelder brauchen wir jedenfalls selbst, davon können wir Euch nichts abgeben. So leid uns das tut.

Lieber Evo, wenn Du jetzt bitteschön umgehend das Militär zurück in die Kasernen beordern würdest, wären wir Dir wirklich äußerst dankbar. Dann darfst Du auch noch ein Weilchen an der Macht bleiben. Also sei brav und füge Dich. Aber wehe Dir, solltest Du unseren Interessen noch einmal in die Quere kommen. In diesem Fall müssen wir uns nämlich gezwungenermaßen einen anderen Präsidenten zulegen. Selbstverständlich einen, der für die soziale Lage in den Industriestaaten mehr Verständnis aufbringt. Schließlich sind hohe Gaspreise Gift für die hiesige Binnenkonjunktur.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 03.05.2006
[2] Wikipedia, Iran
[3] Bettina Schorr, Die Drogenpolitik in Bolivien und der amerikanische Krieg gegen die Drogen, Seite 5, PDF-Datei mit 948 kb